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Großstadtpoesie


Ausgehend von Berlin ist die deutsche Musikszene in Bewegung geraten. Während Politiker noch über Sinn und Unsinn einer Radioquote für Deutschsprachiges debattieren, schafft die Szene bereits Fakten und bringt immer neue Bands hervor, die auch ohne staatlichen Eingriff zu überzeugen wissen.

Der neuen Welle von Pop, Rock und Elektro folgen nun auch solche Bands, die man früher der Liedermachersparte zugerechnet hätte. So wie Mathilda. Die Berliner Band mit Anika Mauer (Gesang), Florian Bald (Gitarre), Simon Brauer (Schlagzeug), Marco Buttgereit (Bass), Peter Roth (Tasten), Florian Waldow und Sabine Wenzl (beide Saxophon) schließt mit ihrem ersten Album "Supersexy rational" gewissermaßen die Lücke zwischen Liedermachern, Pop und deutschsprachigem Chanson.

Damit knüpft "Mathilda" an eine alte Berliner Tradition an, die lange in Vergessenheit geraten war. Das kulturelle Leben der Stadt endete 1933 mit dem Beginn des Nationalsozialismus, und erst jetzt suchen junge Künstlerinnen und Künstler nach den Spuren der 20er Jahre.

Mathilda-Stimme Anika Mauer, ausgebildete Schauspielerin mit Engagements in Bremen und am Deutschen Theater Berlin, ist bereits seit einigen Jahren an Projekten beteiligt, die sich der Spurensuche verschrieben haben. Als "Duo Zuckerbrot" (mit Pianist Dietmar Loeffler) gestaltete sie das Bühnenprogramm "Opium für alle" mit Chansons von 1910 bis zur "Machtergreifung" 1933. Daneben tourt sie gemeinsam mit Kolleginnen wie Katja Riemann und Natalia Wörner durch Deutschland. "Ein Stück vom Himmel", so der Titel dieses wichtigen Projekts, "will daran erinnern, was verloren ging vom reichen, intelligenten, verrückten jüdischen Berlin der 20er und frühen 30er Jahren, seinem Charme und seinem Feuer".

Anika Mauer findet somit zwei Antworten wider das Vergessen: durch die Adaption alter Titel ruft sie diese wieder in Erinnerung. Mit Mathilda dagegen setzt sie die alte Tradition mit modernen Mitteln und zeitgemäßen Texten fort. Letztere werden von der Band selbst als "Momentaufnahmen" bezeichnet, die teils gefühlvoll, teils mit leiser Ironie den Alltag betrachten - oder ihn ins Gegenteil verkehren. Wie in "So viel Leben": "Als der Arzt zu ihm sagte: Sie haben noch siebzig Jahre zu leben, traf es ihn wie ein Schlag".

Raffinierte, aber niemals überladene und immer ein wenig lakonische Arrangements ergänzen Text und Gesang vortrefflich. Keine Frage, den "Nachwuchsförderpreis für junge Songpoeten" der Hanns-Seidel-Stiftung und des Bayerischen Rundfunks erhielt Mathilda völlig zu Recht. Jetzt hat auch das Publikum die Möglichkeit, dieses neuesten Act aus der Hauptstadt zu entdecken. Ganz ohne Quote.

(Mathilda: Supersexy Rational.
Pläne Records/BMG, pläne 88908)

© Michael Frost, 30.01.2005

 


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