.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

Bauchlandung
auf dem Pop-Airport

Gast-Kritik von Hans Happel


Am Ende des 20. Jarhunderts hat ein junger Pianist die Romantik des 19. Jahrhunderts für den Jazz entdeckt. Brad Mehldau heißt der Entdecker, der 1999 - nach mehreren Trio-Aufnahmen - seine erste Solo-CD veröffentlichte. So außergewöhnlich wie ihr Titel "elegiac cycle", mit dem er sich auf Beethoven und Robert Schumann berief, so außergewöhnlich ist seine Musik, die klassische Schönheit und strenge Form mitten im freien Fluß des Jazz beschwört. Mehldau spielt darauf Klagelieder für jüngst verstorbene Dichter wie Allen Ginsberg und W.S. Burroughs, sein Pianospiel ist von einer geradezu schmerzhaften Melancholie, seine kleinen Melodien sind innige Lyrismen, die Mehldau in großen Improvisationsbögen elegant harmonisch verschattet.

Mit "elegiac cycle" hatte der 29-jährige Newcomer, der schon frühere Trio-Aufnahmen herausfordernd selbstbewußt "The Art of Trio" genannt hatte, Maßstäbe gesetzt. Mit der Nachfolge-CD "Places" kehrte er zur Trio-Formation und zu seinen vertrauten Begleitern Larry Grenadier (Bass) und Jorge Rossy (Drums) zurück.

Das Album war musikalisch eine Fortsetzung der elegischen Etüden, zum Teil ebenso intensiv und tief emotional, zum Teil aber auch ohne jene Atem beraubende "Urgewalt", die Mehldau selber für "großartige Musik" geltend macht. Denn die Suche nach Schönheit und schönen Harmonien kann umkippen und sich in schönen Formeln erschöpfen.

Mehldau hatte mit "elegiac cycle" eine Grenze erreicht, mit seiner neuen CD "Largo" versucht er sie zu überschreiten und dabei droht er alles zu verlieren, was seine Musik ausgemacht hatte. Auf "Largo" verabschiedet er sich weitgehend von dem elegischen Charakter seiner Kompositionen, als wolle er abheben von jenem "Airport Sadness", so einer seiner früheren Titel. Aber wo ist er jetzt gelandet?

Mehldau goes to pop, so lautet das musikalische Programm. Er hat mit Jon Brion einen erfolgreichen Pop-Musik-Produzenten (Fiona Apple) gefunden, der ihm einen kräftigen Bläsersatz verschreibt (Flöten,Oboen, Klarinetten, Posaunen in wechselnden Formationen) und die Rhythmusgruppe mächtig ausbaut. Mehldaus kleine "simple melodies" werden häufig mit zwei Drummern plus Percussion unterfüttert, aber das Ergebnis ist schon im ersten Lied "When it rains" enttäuschend schal. Das Bläserensemble spielt eine bloße Statistenrolle, es liefert die Hintergrundfarben fürs Piano, die Schlagzeuger (Matt Chamberlain, Jim Keltner) drängen sich mit schwerem Beat (ergänzt um BossaNova-Percussion) in den Vordergrund.

Mehldaus Suche nach schönen Formen wirkt angestrengt und häufig nur noch blass. Dass er ein Meister ohrwürmiger Melodien sein kann, zeigt er in "You`re vibing me", in dem die alten Triobarden mitwirken und er selber das Vibraphon spielt. Aber es bleibt beim kurzen Anspiel. Jazz als hübsche 3-Minuten-Nummer. Das ist gefällig, aber langweilig. Mehldaus Musik hat ihren Atem verloren, seine Versuche sich selber weiterzuentwickeln, nähern sich bedrohlich der Kitschzone, und wenn er einen Jobim-Song (Wave) mit einem Beatles-Klassiker (Mother Natures Son) collagiert, scheint er bei Rondo Veneziano gelandet zu sein.

So überflüssig wie aufgesetzt wirken auch die gelegentlich eingestreuten elektronischen Klänge. Was unter den Dutzend Aufnahmen des Albums herausragt, ist eine schnelle, free-Jazz-inspirierte Nummer mit dem Titel "Free Willy", bezeichnender weise wieder mit Granadier und Rossy zusammen. Und schließlich das Schlußlied "I do", eine romantische Etüde im besten Mehldau-Stil, der auch die dezent untergezogenen Bläser nichts anhaben können, denn hier ist er ganz bei sich, bei einer sehr amerikanischen Melodie, die aus einem alten Tanzpalast stammen könnte, und die er minutenlang - als Pianosolo - umspielt und variiert.


Fazit: Brad Mehldaus neue CD LARGO ist eine Bauchlandung auf dem Pop-Airport der harmlosen Wohlgefälligkeit. Wenn er klug ist, findet dieser Romantiker des Jazz-Pianos seinen Weg zurück zum Trio und vor allem zu sich selbst. Er sollte noch einmal nachlesen, was er im Beiheft zu "elegiac cycle" geschrieben hatte. Dort läßt er Thomas Manns Figur Tonio Kröger für sich sprechen: "Die Begabung für Stil, Form und Ausdruck setzt bereits dies kühle und wählerische Verhältnis zum Menschlichen, ja, eine gewisse menschliche Verarmung und Verödung voraus. Denn das gesunde und starke Gefühl, dabei bleibt es, hat keinen Geschmack."

Zu Tonio Kröger gehört die süße Sehnsucht "nach den Wonnen der Gewöhnlichkeit". Vielleicht liegt hierin das Geheimnis der musikalischen Suche, die Brad Mehldau bis zum Weißen Album der Beatles zurückführt. Seine minimalistische Version von "Dear Prudence" ist eine Hommage an jene Band, die zwischen Schönheit und Popularität niemals einen Unterschied gemacht hat.


"Brad Mehldau: Largo" ist eine Gast-Kritik
von Hans Happel (August 2002).
Was du wissen solltest, wenn du uns auch eine Gast-Kritik senden willst, erfährst du hier.


Weitere Beiträge von Hans Happel


[Archiv] [Up]