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Zeitlupenkino


"Zeitlupenkino" nannte vor einiger Zeit Katharina Franck ihr Album, auf dem sie elektronische Musik mit eigenwilliger Poesie verwob. Kino im Zeitlupentempo bietet auch das norwegische Elektronica-Projekt "Mind over Midi", doch auf Texte muss man dabei fast ganz verzichten. Nur einige Wortfetzen durchzucken gelegentlich die instrumentale Klangwelt, in der alles verlangsamt, verzerrt und verfremdet klingt.

Doch in Wirklichkeit lädt Helge Tømmervåg, der kreative Kopf hinter "Mind over midi" und einer der Pioniere der kleinen, aber exquisiten Electronica-Avantgarde Norwegens, zur Reise in eine Unterwasserwelt. Schwerkraft, Kraft überhaupt, Geschwindigkeit, alles, was menschliche Bewegungen auf der Erdoberfläche ausmacht, spielt in dieser Welt keine Rolle mehr, bleibt funktionslos.

Der digitale Sound in "Monopoly" beschreibt den Eintritt in diese fremde Welt mit ihren gegenläufigen Gesetzen. Alles wirkt verlangsamt, schläfrig, träumend - im Zeitlupentempo. Das Plätschern von Wasser zu Beginn des Albums ist dabei die einzige Assoziation, die Tømmervåg vorgibt, alle weiteren Anknüpfungspunkte ergeben sich erst im Zusammentreffen mit dem Hörer. Für weniger aufmerksame Musikhörer bleibt daher wohl vor allem der Eindruck großer Abstraktion, doch das wirklich Erstaunliche ist die imaginäre Kraft dieser Klangwelten.

Tømmervåg sucht dabei den Austausch mit anderen Genres, so auch mit dem Jazz. Den nicht minder experimentierfreundigen Trompeter Nils Petter Molvær konnte er als Gastmusiker gewinnen. Molvær nutzt die Gelegenheit, die Trompete aus ungewohnter Perspektive einzusetzen und verzerrt ihren sonst so schneidend klaren Klang in sphärischen Ambient-Sound - auch sie hat die Reise unter Wasser angetreten, und auch sie erzählt ihre eigene Episode innerhalb dieses instrumentalen Zeitlupenkinos.

© Michael Frost, 28.08.2006

 


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