Die 
          Idee zu "Perle" sei ihr während ihrer letzten Tournee 
          gekommen, erzählte Gianna Nannini jüngst der italienischen 
          Tageszeitung La Repubblica: "Am Ende des Konzertes spielte ich 
          'Ragazzo dell'Europa' vierhändig mit Christian Lohr am Klavier, 
          und ich war überzeugt davon, dass zwischen uns ein unglaublich 
          intensives künstlerisches Gefühl entstanden war, das auch 
          auf das Publikum übersprang."  
          So 
            wurde aus der Konzert-Zugabe "Ragazzo dell'Europa", einem 
            ihrer Klassiker, nur die schönste von insgesamt 13 auf ihrem 
            neuen Album versammelten "Perlen" aus einer inzwischen 28-jährigen 
            Karriere in neuem Gewand, begleitet von ebenjenem Christian Lohr und 
            vier Streichern, dem Solis String Quartet aus Neapel. Das Konzept 
            ist nicht neu, und Gianna Nannini ist längst nicht die erste 
            Rockmusikerin, die ihre Songs in ein klassisches Gewand hüllt. 
            Selbst Hardrock-Bands wie Metallica haben dieses Experiment schon 
            gewagt, zum Teil mit ambivalenten Ergebnissen.
          Bei 
            Gianna Nannini jedoch ist die Beurteilung eindeutig. Nie zuvor wirkte 
            ihre charakteristische Stimme so heiser, so kräftig, so reif, 
            so frei und so gegenwärtig wie auf "Perle". Und selbst, 
            wenn man nicht in jedem Fall von der Wahl der Arrangements überzeugt 
            ist: Mit ihrem aufreibenden Gesang scheint sie um ihre Lieder gleichsam 
            zu kämpfen, mit voller Kraft wirft sie sich in den ungleichen 
            Streit zwischen Rockröhre und klassischer Symphonie. "Die 
            Rockmusik verlangt, dass sich die Stimme innerhalb der Musik bewegt", 
            erklärt sie, "doch im Gegensatz dazu kommt meine Stimme 
            in diesen Versionen von außerhalb."
          Reibung 
            erzeugt Wärme, die in Energie umzusetzen ist, dieses naturwissenschaftliche 
            Gesetz funktionierte bei ihr schon immer, doch selten war Nanninis 
            Funkenflug dabei so sprühend wie hier. Nach "Aria", 
            dem sehr elektronisch inspirierten Album, ist "Perle" also 
            ein neuerlicher Versuch der Selbstverortung. Auf der Suche nach ihrem 
            künftigen Sound dreht "La Giannissima" jeden Stein 
            zweimal um, improvisiert, experimentiert und lässt ihren musikalischen 
            Begleitern die gleiche Freiheit, die auch für ihre eigene künstlerische 
            Entwicklung die Voraussetzung war. Im Falle des Titels "Amore 
            Cannibale" führt die Suche in die Irre - das Stück 
            wird mit feierlichem Chor in ein pathetisches Requiem verwandelt - 
            doch der positive Gesamteindruck kann durch solche Ausrutscher nicht 
            getrübt werden, zumal angesichts wirklicher "Perlen" 
            wie "O Marinaio", des dramatischen Titels "Contaminata" 
            oder der fantastischen Neuaufnahme ihres Klassikers "California". 
            
          "Stillstand 
            ist der Tod, geh voran - bleibt alles anders", dieses Credo Herbert 
            Grönemeyers gilt uneingeschränkt auch für Gianna Nannini, 
            ihre fast 30-jährige Karriere und bald zwanzig Alben, von denen 
            keines klingt wie das vorige - und keines klingt so anders wie "Perle".
          © 
            Michael Frost, 06. Februar 2004