Man 
          nehme: ein bequemes Sofa, wahlweise einen gemütlichen Sessel. Das 
          Licht sollte gelöscht sein, vielleicht bis auf einige Kerzen. An 
          den CD-Spieler sollten Kopfhörer angeschlossen sein. Man lehne 
          sich zurück, drücke auf "play" - und genieße. 
           
          Zu 
            hören ist eine Stimme der Extraklasse. Sie galt als "Spatz 
            aus Haifa", aber in Wahrheit ist sie eine Nachtigall. Auch heute 
            noch, Jahrzehnte nach den großen kommerziellen Erfolgen, als 
            Esther und Abi Ofarim Pop und Folklore vermischten, so zu Pionieren 
            dessen wurde, was inzwischen als Weltmusik bezeichnet wird. Fast beiläufig 
            brachten sie damit auch die jüdische Musiktradition zurück 
            nach Deutschland. 
          Diese 
            Erfolge sind Geschichte. Doch Esther Ofarim lebt die Musik noch heute. 
            Früh widmete sie sich dem Theater, spielte z.B. in Peter Zadeks 
            "Ghetto"-Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus. Dort, 
            in der Hansestadt, lebt sie seit vielen Jahren, und nur selten zieht 
            es sie noch auf die Bühne. Doch wenn sie es tut, dann geht es 
            um besondere Ereignisse. 
          "Back 
            on stage" ist der Mitschnitt eines Konzerts, das Esther Ofarim 
            gemeinsam mit dem NDR Pops Orchestra 2003 im Großen Sendesaal 
            des NDR in Hannover gab. Unter der musikalischen Leitung von Peter 
            Herbolzheimer entstand ein großartiges Dokument. Spricht man 
            bei Schauspielern von "Charakter-Darstellern", wenn man 
            ihrer Kunst ein besonderes Prädikat verleihen will, so ist Esther 
            Ofarim eine Charakter-Stimme, die mit Emphase und zärtlicher 
            Leidenschaft ihre gesamte Persönlichkeit in die Interpretation 
            eines Liedes einbringt - ganz gleich, ob es sich dabei um Folk, Klassik, 
            Pop oder Jazz-Standards handelt. 
          In 
            Hannover bot Esther Ofarim von allem etwas. Unter anderem Gershwins 
            "Somewhere over the rainbow", Weills "September song" 
            und Cowards "Mad about the boy", Klassiker, die unzählige 
            Male aufgenommen wurden. Doch in Esther Ofarims Versionen erhalten 
            die Stücke einen individuellen, gar intimen Rahmen: schon durch 
            die Auswahl an sich. "Bird on the wire" (Leonard Cohen), 
            "She's leaving home" (Beatles), "In Germany before 
            the war" (Randy Newman) und "Dirty old town (McColl) folgen 
            im Wechsel mit jüdischen Traditionels oder einer französischen 
            "Pavane" aus der Renaissance. 
          Damit 
            stehen die Stücke in einem ganz persönlichen Kontext, den 
            Esther Ofarim durch ihre unvergleichliche Interpretation unterstreicht. 
            Das Gefühl der emotionalen Verbundenheit zu den Liedern zieht 
            sich als roter Faden durch das Konzert und erfährt seinen Höhepunkt 
            bei "Morning of my life", dem einzigen Titel an diesem Abend, 
            der noch aus der Zeit ihrer großen Erfolge in den späten 
            60er Jahren stammt.
          Und 
            schließlich hat das NDR Pops Orchestra einen nicht zu unterschätzenden 
            Anteil an der außergewöhnlich ergreifenden Atmosphäre 
            dieses Konzerts: Wie sich ein 60-köpfiges Orchester über 
            weite Strecken des Albums fast unhörbar machen kann und dennoch 
            ständig präsent ist, das ist wahrhaft große Kunst 
            und wohl besonderes Verdienst von Peter Herbolzheimer, der Esther 
            Ofarim seit vielen Jahren kennt. Er lässt das Orchester den Gesang 
            der Ofarim leise und zärtlich umspielen, keines der Instrumente 
            drängt oder treibt sie. 
          So 
            kann man sich in diesem Konzert, dieser Stimme und ihren Liedern verlieren. 
            Nach einer verträumten Stunde wird man dann sanft geweckt. Esther 
            Ofarim verabschiedet sich mit Brahms' Wiegenlied und hinterlässt 
            ihr Publikum - sowohl im Sendesaal in Hannover als auch im heimischen 
            Sofa - wie verzaubert:
          "Wenn 
            the morning will break
            with a smile you will wake ..."
          © 
            Michael Frost, 18.10.2005