Country 
          ist ein Klischee. Es wohnt in unbewohnten Gegenden, in denen der Staub 
          rot gefärbt ist, es reitet in Wildleder befransten Jeanshemden 
          in Cowboystiefeln und ebensolchen Hüten dem Sonnenuntergang entgegen, 
          und es hat Lungenkrebs: Welcome to Marlboro Country.  
          Soweit 
            das Klischee. Das wahre Gesicht der Countrymusik entsteht im Zusammenwirken 
            von Blues und Folk und im besten aller Fälle klingt es wie "Town 
            of Ten", dem neuen Album der Old Joe Clarks, der ersten CD, die 
            von dieser Band in Deutschland veröffentlicht wird. 
          Den 
            Kern der Gruppe bilden Mike und Jill Coykendall. Das Ehepaar aus Kansas, 
            inzwischen in Portland und San Francisco beheimatet, nahm "Town 
            of Ten" bereits 1996, damals noch auf dem bandeigenen Label, 
            gemeinsam mit Kurt Stevenson. Als Trio machen The Old Joe Clarks Krach 
            für zehn: akustische, elektrische und Steel-Gitarre, Zither, 
            Mundharmonika, Banjo, Percussions, Dobros, Bass, Melodica, Klarinette 
            und die Art Geige, die man besser "Fiddle" nennt, gehören 
            zu ihrem Instrumentarium, mit dem sie immer wieder überraschende 
            und ungewöhnliche Klangfarben in ihren robusten, erdigen Sound 
            mischen.
          Trotz 
            der Vielfalt der Instrumente folgen Arrangements und Songstrukturen 
            einem simplen Rezept: alles so einfach und schlicht wie möglich. 
            "Everything to me, was found in town of ten", heißt 
            es im Titelsong. Man trifft sich im kleinen Kreis, jemand bringt ein 
            paar Blumen aus dem Garten mit, es gibt Kaffee und ein Stück 
            Kuchen und man redet über die alltäglichen Sorgen: hier 
            geht es um das Glück der kleinen Dinge. 
          Blues 
            bedeutet in der Übersetzung der Old Joe Clarks nicht depressiver 
            Nihilismus, sondern die Verarbeitung von Lebenserfahrung, kleinen 
            Hoffnungen und großen Enttäuschungen, doch stets mit einem 
            ungeschminkten Blick auf die Realität, etwa im Stück "Welfare 
            Hotel", das vom Scheitern einer allein erziehenden Mutter und 
            ihrer Unfähigkeit erzählt, ihr Schicksal zu wenden: "Too 
            late to change the life she's led, she says // She worries about her 
            children // who play on the streets with the dealers of death ..." 
            
          Solchermaßen 
            vom Klischee befreit eröffnet der "Neben-der-Spur-Country" 
            (Pressetext) von The Old Joe Clarks einen tiefen Einblick (nicht nur) 
            in die amerikanische Wirklichkeit. Vergleiche mit Don McLean scheinen 
            an dieser Stelle angebracht, doch das Album des Trios aus Portland 
            (das inzwischen übrigens zum Sextett angewachsen ist) wird künftig 
            selbst als Maßstab Geltung besitzen.
          © 
            Michael Frost, 24. Januar 2004