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Hiphop, Hindi und Hypnose


Dass die indische Filmindustrie, "Bollywood" genannt, den amerikanischen Kollegen, was Produktion und Umsatz angeht, längst den Rang abgelaufen hat, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben, auch wenn die Vertreter der Hollywood-Studios weiterhin glauben machen, sie seien der Nabel der Welt. Doch spätestens seit dem Oscar-Regen, der in diesem Jahr auf "Slumdog Millionaire" niederging, lässt sich nichts mehr beschönigen. Und wenn sich man vor, während oder nach dem Genuss des herausragenden Films mit seinem Soundtrack auseinander setzt, dann ahnt man, dass auch die Zimmers und Shores Konkurrenz bekommen haben, oder, wenn man besser informiert ist, weiß man, dass dies längst geschehen ist: Auf ungefähr 300 Mio. verkaufte Exemplare seiner mehr als 100 Soundtracks belaufen sich die verkauften Tonträger von Alla Rakha Raman bislang - eine Verkaufszahl, mit der er irgendwo zwischen Abba und den Beatles liegt.

Alla Rakha (kurz: A.R.) Raman hat einen komplett anderen, ungemein zeitgemäßen Zugang zur Filmmusik. Denn anders als seine westlichen Kollegen, die ihre großflächigen Sinfonien als Untermalung zu jeder Szene erschaffen, so wie man es seit der Stummfilmzeit macht, so führt die Musik bei ihm ein eigenständiges Leben. Sie ist ebenso laut, bunt und für ungeübte Ohren exzentrisch wie der Film selbst, sie versteckt sich nicht im Hintergrund, sie untermalt nicht, sondern entwirft mit dickem Pinselstrich und grellen Tönen ein eigenes Bild.

Hiphop, Hindi und Hypnose sind die Eckpfeiler dieses beschwörend-betörenden Soundtracks. Stoische Rhythmen, Vokalakrobatik (vor allem von der indisch-britischen Sängerin M.I.A.) in gleicher Präzision wie der coole Elektro-Sound, der ungefähr dort beginnt, wo Madonna sich nie hintraute - um einmal beispielhaft zu beschreiben, dass hier nach unseren westlichen Vorstellungen mehr Pop- als Filmmusik geschrieben wurde. Maurice Jarre, der gerade verstorbene Grandseigneur der Filmmusik (u.a. die Musik zu "Lawrence von Arabien" und "Doctor Schiwago" stammen von ihm") dürfte, obgleich einem anderen kulturellen Erbe folgend, an Ramans Verknüpfung aus Elektronik und Sinfonie seine Freude gehabt haben - auch wenn der Franzose die Abneigung von "Slumdog Millionaire"-Regisseur Boyle gegen Streichinstrumente sicherlich verurteilen würde: "Bring nie ein Cello in meinen Film", soll Boyle Raman ermahnt haben.

Nein, man vermisst sie nicht, die sonst unentbehrlichen Streicher und Bläser, die dramatischen Sinfoniker. Statt dessen ahnt man, dass mit "Slumdog millionaire" eine neue Zeit angebrochen ist, sowohl für die Filmwelt als auch für die Musik, die sie bislang untermalte. Eine spannende Erfahrung.

 

© Michael Frost, 31.03.2009


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