Manchmal 
          verhalten sich Musik-CDs wie Bücher. Es gibt solche, da braucht 
          es die ersten fünfzig, manchmal auch hundert Seiten, bis man sich 
          in die Geschichte und die Erzählweise eingefunden hat. Deutlich 
          seltener sind solche Werke, in die man schon während der ersten 
          Seiten versinkt und hofft, diese Geschichte würde endlos weitergehen. 
           
          Damien 
            Rice hat nun schon zum zweiten Mal ein Album veröffentlicht, 
            das eindeutig zur zweiten Gruppe gezählt werden muss. Sein Debüt 
            "O" wurde in seiner irischen Heimat mit Dreifach-Platin 
            ausgezeichnet, und man muss kein Prophet sein, um "9" einen 
            vergleichbaren Erfolg zu prognostizieren. 
          Es 
            ist gleich der Beginn, der gefangen nimmt. Damien Rice überlässt 
            die ersten Töne nämlich, nach einem zögerlichen Piano-Intro, 
            seiner Partnerin Lisa Hannigan: "Leave me out with the waste 
            // This is not what I do // It's the wrong kind of place // To be 
            thinking of you ..." Erst mit der zweiten Strophe setzt Rice 
            selbst ein und entwickelt eine zart-melancholische Call&Response-Ballade, 
            getragen von Klavier, Geige und dem monotonen Schlagen dumpfer Drums. 
            
          Vier 
            Jahre hat Damien Rice gebraucht, um den Nachfolger seines gefeierten 
            Debüts zu veröffentlichen, und ohne jeden Zweifel nutzte 
            er die Zeit um die Atmosphäre des Albums auch bis in die kleinsten 
            Details auszufeilen. So schuf er für die bewegende Ballade "The 
            animals were gone" ein Wechselspiel aus Streicherarrangements 
            und Chor von fast klassischer Schönheit - eine Intensität, 
            die unter den zeitgenössischen Stars der so genannten "Singer/Songwriter" 
            nahezu unerreicht sein dürfte.
          So 
            gehen seine Songs tief unter die Haut, ohne sentimental, aufgesetzt 
            oder kitschig zu wirken. Die Beziehung zwischen Rice und seinen Songs 
            ist echt und direkt, die Stimmung überträgt sich unmittelbar 
            auf den gebannt lauschenden Hörer und scheint Teil der eigenen 
            Erfahrung zu werden. Kaum vorstellbar, hier kühl und unbeteiligt 
            zu bleiben. So folgt man ihm gebannt nicht nur in die leisen, bisweilen 
            abgründigen und schmerzvollen Tiefen seiner Songs, sondern allzu 
            gern auch in die laut krachenden Passagen, wenn der Drummer vollbeschäftigt 
            wird und der Gitarrist den Verstärker aufdreht. 
          Rice 
            reizt den Stimmungswandel voll aus. Bisweilen zerrt er damit an den 
            Nerven, doch immer wieder gewährt er Atempausen, in denen man 
            nach einer stürmischen Nacht den Sonnenaufgang zu spüren 
            meint. So hat seine Musik alles, was sonst große Romane ausmacht: 
            Romantik, Tragik und Komik. 
          Und 
            ebenso wie bei großer Literatur wünscht man sich, die Geschichte 
            würde endlos weitergehen. Doch im Unterschied zur endlichen Literatur 
            gibt es in der Musik zum Glück die Repeat-Taste. 
            
          © 
            Michael Frost, 25.11.2006