Ist 
            Rainer Maria Rilke ein Dichter der Zukunft? Das fragte 1996 - anläßlich 
            des 70. Todestags - der Verleger Siegfried Unseld. Seine Antwort war 
            eindeutig. Er betonte die Nähe des Dichters zur Chaosgrenze und 
            sein Gefühl des Bedrohtseins. In Rilkes Werk las er den Auftrag 
            zur Verwandlung und Veränderung. Aus den "Briefen an einen 
            jungen Dichter" zitierte er Rilkes Vorstellung von der "angeborenen 
            Uneigennützigkeit, Freiheit und Intensität" der Kunst. 
            
          Die 
            beiden Produzenten und Komponisten des "Rilke-Projekts", 
            dessen zweiter Teil unter dem Titel "In meinem wilden Herzen" 
            gerade erschienen ist, liegen also im Trend. Und niemand wird Richard 
            Schönherz und Angelica Fleer daraus einen Vorwurf machen, dass 
            sie Rilke für ein breites und ein junges Publikum erschließen 
            wollen. 
          Dazu 
            versammeln sie eine Reihe prominenter Musiker und Schauspieler und 
            unterlegen die sehr schön gesprochenenen Texte mit einem sanften 
            Klangteppich, der meist diskret im Hintergrund bleibt, sich aber manchmal 
            vorlaut zwischen die Gedichtzeilen drängt. 
            
            Schönherz&Fleer berufen sich auf die Musikalität von 
            Rilkes Dichtkunst und auf die vor 100 Jahren geläufige Form, 
            Balladen, Gedichte und ganze Schauspiele musikalisch zu unterfüttern, 
            das heißt sie in kleine "Melodramen" zu verwandeln. 
            
          Dass 
            dabei 100 Jahre später "Lyrik light" herauskommt, empfinden 
            sie gar nicht als Schande. Insofern 
            darf man sie als raffinierte Pädagogen betrachten, die Rilkes 
            Sprachkunst den Hörern mit musikalischer Hilfe unterschieben. 
            Im Mittelpunkt der Textauswahl stehen Liebesgedichte, stehen die Themen 
            Zweisamkeit und Einsamkeit, Sehnsucht, Stille, Abschied, Nähe 
            und Ferne.
            
            Das bekannteste - vielleicht auch das Schönste - unter den Gedichten 
            ist "Ernste Stunde" und Karlheinz Böhm spricht jene 
            berühmten Zeilen ("Wer jetzt stirbt irgendwo in der Welt,/ 
            ohne Grund stirbt in der Welt:/ sieht mich an.") mit dem angemessenen 
            Ernst, ohne in Pathos zu verfallen. 
          Das 
            gilt fast für alle Sprecher und Sprecherinnen. Nina Hagens 21-jährige 
            Tochter Cosmo Shiva Hagen spricht "Lieben" mit dem erfrischend 
            rauhen Tonfall des jungen Mädchens, Iris Berben, Christiane Hörbiger, 
            Hanna Schygulla sind unverkennbare und erfahrungsgesättigte Stimmen, 
            Andre Eisermann und Veronika Verres fügen sich in dieses Ensemble 
            starker Stimmen zwanglos ein, nur Udo Lindenberg kann von der Koketterie 
            mit seinem Lindenberg-Sound kaum lassen, und der Scorpion-Sänger 
            Klaus Meine muß zusammen mit Zabine aus "Die Liebende" 
            eine fett aufgetragene Liebesschnulze machen. 
          Das 
            sind die Momente, in denen man sich über diesen klugen Versuch, 
            Rilke zu verbreiten, ärgert. Der musikalische Unterboden besteht 
            meist aus elegisch-meditativen Klängen, angenehm, wenn wenige 
            Soloinstrumente dominieren - Violine (Edvin Marton), Saxophon, Klarinette, 
            Oboe (Paul McCandless), Gitarre (Ali Neander) u.a.. Es 
            ist eine wärmend weichgespülte Musik, der der Jazztrompeter 
            Till Brönner als Special Guest einen Hauch von Coolness beigibt. 
            
          Sobald 
            die Streicherklänge jedoch in Crescendi verfallen und in Ennio-Morricone-Manier 
            eine darüber gelegte Sopranstimme sich zum Cinemascope-Spektakel 
            aufschwingt, beginnt die unnötige Überzuckerung des Meisters, 
            dessen Sprache sogar auf dieser CD ohne jede Musikbegleitung bestehen 
            kann, wie Cosmo Shiva Hagens schöne Stimme - pur - mit den Schlußversen 
            beweist. Laith Al-Deen spricht das Titelgedicht "In meinem wilden 
            Herzen" im Rhythmus eines milden Rap, und auch daran kann man 
            sich gewöhnen.  
          
          
          "Das 
            Rilke-Projekt: In meinem wilden Herzen" ist eine Gast-Kritik 
            von Hans Happel (November 2002). 
            Was du wissen solltest, wenn du uns auch eine Gast-Kritik senden willst, 
            erfährst du hier.