Klarinette, 
          Percussions und Saxophon. Aus diesem Zusammenspiel könnte Jazz 
          werden, oder klassische Instrumentalmusik. Die Mischung aus beidem bildet 
          auch tatsächlich die Grundlage der Musik von Rinne Radio, doch 
          das Ergebnis ist nicht einzuordnen und folgt keinem bekannten Muster 
          oder Genre. Davor schützt der Electronica-Spezialist Verneri Lumi. 
          Er bemächtigt sich der (überwiegend analogen) Sounds seiner 
          Kollegen (Tapani Rinne/Klarinette, Saxophon); Juuso Hannukainen/Percussions; 
          Pekka Kuusisto/Geige) und seziert sie im Computer, bis oftmals nurmehr 
          eine Ahnung ihres ursprünglichen Klangs übrig bleibt.  
          Rinne 
            Radio heißt das Trio (Geiger Pekka Kuusisto ist nur Gast), das 
            für diesen avantgardistischen Klang verantwortlich ist. Bereits 
            seit 1988 gibt es die Band, "Plus" ist schon ihre 19. Veröffentlichung. 
            Mit feinem Gespür für unmerkliche Stimmungswechsel variieren 
            sie leise akustische Elemente, Chillout-Atmosphäre und tranceartige 
            Beats; "Plus" ist wie ein unscheinbarer Bachlauf, der unvermittelt 
            durch Stromschnellen führt, Seen verbindet, streckenweise zu 
            einem Fluss wird, sich aber genauso unerwartet wieder zum Rinnsal 
            zurück entwickelt: eine naturalistische Beschreibung für 
            Musik, die über ein hohes Abstraktionsniveau verfügt und 
            beim Hörer auf individuell verschiedene Assoziationen erzeugen 
            kann.
          Man 
            kann sich "Plus" bestens als klangvolle Untermalung spannungsvoller 
            Installationen und Multimedia-Projekte vorstellen (wie sie von Rinne 
            Radio konsequenterweise auch schon selbst erstellt wurden), aber eben 
            auch als progressiven Beitrag der NuJazz-Szene. Rinne Radio selbst 
            geben hier keine Lesart vor, aber sie bieten Möglichkeiten an. 
            
          Denn 
            an irgendeiner Stelle des beschriebenen Sees, an einer besonders ruhigen, 
            von Wäldern und Wiesen umsäumten Stelle, könnte es 
            passieren, dass man Rinne Radio selbst begegnet: auf einer Bühne, 
            die als scheinbares Floß am Ufer verankert ist, mit luftigen 
            Segeln als Dach, umgeben von auf dem Wasser liegenden Nebeln und Pontons 
            mit aufgestellten Lautsprechern und einem relaxten Publikum, das am 
            gegenüber liegenden Ufer den milden Sommerabend genießt. 
            In dieser sensationellen Kulisse des estnischen Leigo Lake Open Air 
            Festivals gab das Trio im August 2004 ein Konzert, das auf der DVD-Seite 
            der Dual Disc "Plus" zu sehen ist. 
          Der 
            einzigartige Auftrittsort ist eine kongeniale Entsprechung der Musik 
            und scheint ihre Wirkung noch um ein Vielfaches zu verstärken. 
            Nicht wie üblicherweise, wenn Musik Landschaften zu beschreiben 
            versucht, funktioniert der Sound von Rinne Radio: die Musik fügt 
            sich, manchmal auch als Kontrapunkt, in ihre Umgebung ein, ergänzt 
            und spiegelt sie, verschmilzt mit ihr und hebt so den - angenommenen 
            - Widerspruch zwischen Natur und Elektronik auf. 
           
            
          © 
            Michael Frost, 25.08.2006