Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

"Spiele nicht mit
deiner späten Liebe"

von Hans Happel


Sie haben die 60 überschritten, und als Veteranen des schmutzigen, bösen, aggressiven, des echten und anstängen Rock'n'Roll werden sie schon seit Jahrzehnten wahrgenommen. Also nichts Neues mehr, wenn die "bad boys" Mick Jagger, Keith Richard, Ronnie Wood, Charlie Watts und Daryll Jones ein neues Album machen?

Vielleicht ist schon die Frage falsch, denn wer erwartet Neues von einer Band, die seit mehr als vier Jahrzehnten immer wieder beweist, dass sie den Rock'n'Roll erfunden hat, dass sie ihn immer noch so aufspielen kann wie damals, als jeder zweite Stones-Song in die Annalen der Musikgeschichte einging, während sie sich jetzt nur noch wiederholen wie alte Männer, die sich immer mal wieder beweisen wollen, wie schön es ist zusammen Musik zu machen, und die wirklich keinem modischen Trend mehr folgen müssen.

Man freut sich daran, dass sie noch da sind, man erinnert sich an Stones-Auftritte in diversen Jahrzehnten, und dann hakt sich beim zerstreuten Mithören der neuen Lieder unerwartet eine Zeile und eine musikalische Floskel fest - wie in "It won't take long": "You can lose the love of a lifetime/ in a single roll" und plötzlich wird ein Stich spürbar, ein leiser Schmerz, in ohrwürmigen Schmelz gefasst, und in Jaggers Stimme scheint etwas mehr mitzuschwingen als bloße Routine.

Im Folge-Song "Rain fall down" singt er - mit groovendem Unterboden - vom stinkenden, schmuddeligen Zimmer in einer grauen Stadt, in der jemand "sweet love" mache. Eine Rückbesinnung auf die Anfänge? Erinnerungen an eine Zeit, in der die Musik für die, die nichts besassen, Flucht und Traum sein konnte?

Track 5 heißt "streets of love", und dieser Song mit seinem Mitmach-Refrain könnte mal wieder einer der inzwischen seltenen Stones-Hits werden. Gerade weil der Text so furchtbar schlicht ist, aber weil er einen schwer melancholischen Herbst-Ton in sich trägt: "I walk the streets of love for a thousand years/and they are full of tears", am Ende sind diese Straßen sogar "full of fears".Und das ist neu. Furcht! Ganz ungewöhnlich für die Stones. Da gesteht ein alter Mann, "awful bad" gewesen zu sein, und jetzt, singt Jagger, sei er "awful sad".

Danach ein echter Blues, "back of my hand" (Track 6), Charlie Watts trommelt ganz straight, Mick Jagger spielt Mundharmonica, er besingt einen Augenblick, eine Erinnerung, einen schmerzhaft melancholischen Blick auf die Welt: Da hört jemand einen Straßenprediger, der trouble weissagt, da hat jemand Träume, Visionen, da sieht jemand Goyas dunkle Visionen und "paranoias", da liest jemand die Lebenslinien auf seiner Hand ab.

Ok, soviel intensive Töne wollen die Stones nicht durchhalten. Mit Track 7 kehren sie zu einem knalligen Schlicht-Thema zurück, in Track 8 stricken sie an einem sympathisch melodiösem Rocksong mit ebenso sympathischer Selbstkritik: Spiele nicht mit deiner späten Liebe ("Biggest mistake").

Keith Richard singt "This place is empty" (Track 9), er beschwört die Frau, sein baby, "come on, you and me, we´re just like the rest/ and we don´t want to be alone" und das nimmt man ihm ab. Track 10 die alten Formeln, schnelle Rhythmen, Track 11 "Dangerous beauty" unnötig, Mick Jagger besingt viel zu gepresst zum x-tenmal die "dangerous, dangerous, dangerous beauty", er sagt und singt es selber, das ist painfully!

Dagegen Track 12: Mick mit Kehlkopfstimme "I´m so sick and tired/ so I´ll say my goodbyes…..laugh, laugh, I nearly died". Das klingt bitter und traurig, der Traveller, der in aller Welt gewesen ist, fragt sich zum Schluß in mehrfacher Wiederholung, "wonder who´s gonne be my guide", der Schlusswie ein Spiritual. Der schönste Song des Albums.

Mit "sweet neo con" (Track 13) versuchen sich die Stones in politischer Kritik. Unscharf und scharf zugleich - mit frischem aggressiven Impuls - wird der neokonservative christliche Fundamentalist angegriffen, der in Amerika regiert, "where´s the money gone/ in the Pentagon". Danach Rocksongs, anständig, rau und erdig gespielt wie alle Songs des Albums, "driving too fast" eine klare und laute Warnung, das Leben nicht hinterm Steuer des schnellen Wagens wegzuschmeißen, schließlich take 16, wieder von Keith Richard gesungen: "Your living in a nightmare, baby/ and I mistook it for a dream".

Noch einmal selbstkritische Worte: "It´s you, that wrote the song, baby/ but it´s me, that got the song". Dieser Schlusssong heißt "infamy", ein Wortspiel, denn die entsprechende Songzeile heißt: "You´ve got in for me". Spricht hier ein alt gewordener Rock'n'Roller über die gefährlichen Seiten des Traums, aus dem die Stones bis heute nicht aufgewacht sind und den sie bis zu ihrem Tod weitertragen werden?

"A bigger bang" nennen sie ihr neues Album, und ein merkwürdig helles Licht, ein Licht, in das man nicht hineinsehen kann, strahlt aus einer Mitte, um die sich im Halbdunkel die Mitglieder der Band versammelt haben. Nur Teile der Gesichter sind zu erkennen und die sehen wie Masken aus, erstarrt, skurril, unheimlich. Ein Cover a la Goya?

"The Rolling Stones: A bigger bang"
ist ein Beitrag von Hans Happel
© Hans Happel, September 2005


[Archiv] [Up]