Er
ist auf der Suche nach dem Land, in dem er seine Träume
leben kann, aber noch sitzt er auf einer häßlichen
Parkbank vor einer fleckig-grauen Mauer, den kahlen Schädel
zwischen die Hände gelegt: Ein junger Existenzialist
in schwarzem Pullover und Bluejeans, ein lonesome Cowboy der
Großstadtperipherie, verloren im "No mans land",
wo nichts kalt oder warm ist, "no life in the streets/No
soul in the people you meet".
Lee
Sankey heißt der Mann auf der Bank, er ist 33 Jahre
alt, in London geboren, er spielt Gitarre und Mundharmonika,
und er hat für seine zweite CD "Tell me There´s
A Sun" bis zu 16 Musiker um sich herum versammelt, mit
denen er jene traurig-trotzigen Geschichten vom jungen Rebellen
erzählt, der auf der Suche nach der inneren Sonne ist.
Die
prägnante Stimme zu seinen Songs gehört dem Sänger
Ian Siegal, eine fast schwarze Stimme (obwohl der Sänger
so weiß wie die anderen Musiker ist), scharf und leicht
verräuchert.
"the
lee sankey group" machen eine Musik, die tief im klassischen
Blues verankert ist, aber ebenso gut Funk und Soul enthält,
die vom Hiphop nippt und bei Tom Waits vorbeischaut.
Im
letzten der 11 Songs heißt es programmatisch: "The
Jazz side can tell a story/ The Bluebop sound can make you
move/ The Blues can move your soul..." und dieses 12-Minuten-Lied
entwickelt einen mitreißend lässigen Groove, der
zum Aufbruch aus der Vorstadt-Hölle bläst.
Das
kunstvoll gestaltete opulente Booklet enthält nicht nur
alle Songtexte (Bravo!), sondern zeigt in beeindruckenden
Fotos jene Straßen, Plätze, Ecken, Gleise, wo die
Tristesse zu Hause ist. Das mag auch ein lustvolles Spiel
mit der schönen Pose sein, es passt aber genau zu dieser
Musik, die etwas Erdiges und Würziges ausstrahlt, und
der es gelingt, dem Klageruf des Blues eine neue Heimat zu
geben.
Lee
Sankey besingt die "Unchosen", die "lonely
people" (die die Beatles mit einer ganz anderen Musik
vor 30 Jahren in Liverpool besungen haben), er appelliert
die eigenen Gefühle ernst zu nehmen ("my choices
will be mine"), beengende Beziehungen zu verlassen und
sich nicht an vorgestanzte Zukunftsbilder zu verkaufen. Statt
Unterwerfung unters "corporate game" ein Plädoyer
für Individualität.
"Modern
Street Symphonic Sound" tauft der Pressetext der Produktionsfirma
Sankeys Stil-Mixtur. Das ist übertrieben, wenn auch die
kräftige Bläsersektion gelegentlich orchestrale
Züge annimmt. Vielleicht ist "Bluebop" der
treffenste Name für diese Musik, die immer elegant und
durchsichtig bleibt, und die u.a. vom Bassisten Rob Mullarkey
mit feindynamischen Patterns unterlegt wird.
Hammondorgel,
Flügelhorn. Trompete, Steel- und Slidegitarren geben
ihr klare Konturen, im Mittelpunkt aber stehen die Mundharmonika
von Lee Sankey, der in "monkey lips" ein virtuoses
Solo nach klassischem Rhythm&Blues-Mustern vorlegt, und
die betörend starke Stimme von Ian Siegal. Sein rauer
Sprechgesang in "Franks Brother" ist eine ausdrückliche
Hommage an Tom Waits und seinen erzählenden Pianobar-Jazz,
denn hier hat Sankey mit Genehmigung des Meisters dessen makaber-skurrilen
Song "Franks wild years" fortgeschrieben.
Am
Ende des letzten Titels gibt es nach einem abrupten Schluß
und zwei Minuten Pause eine kurze Zugabe, die verrät,
woher diese Musiker ihre Kraft beziehen: Auf ihrem Weg weg
aus der verlorenen Vorstadt gehen sie back to the roots.
©
Hans Happel, 26. Juli 2003