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Jeder Ton wahrhaftig
von Hans Happel

 

„Für Michael ist das Wort Jazz ja viel zu eng; wenn ich mit ihm spiele, ist alles offen. Bei Joachim dagegen ist mehr die alte Jazztradition zu spüren.“ Das erzählt Heinz Sauer, wenn er von seinen beiden Duo-Partnern spricht, mit denen er das Album IF (BLUE) THEN (BLUE) eingespielt hat.

Michael, das ist der junge Pianist Michael Wollny, seit mehreren Jahren in der deutschen Jazz-Szene einer der profiliertesten Musiker, der gemeinsam mit dem Saxophonisten Heinz Sauer zwei gefeierte Duo-Projekte veröffentlicht hat („Melancholia“ und „Certain Beauty“, siehe CD-Kritik). Joachim, das ist der Pianist Joachim Kühn, der wie Heinz Sauer seit Jahrzehnten zu den wegweisenden Musikern in Deutschland gehört.

Diese drei jeweils im Duett mit dem Saxophon, das ist ein mutiger Versuch, dem der ACT-Produzent Siegfried Loch noch eins drauf setzt: Mit einigen der 16 kurzen Stücke wird ans 50. Jubiläum eines klassischen Albums der Jazz-Geschichte gedacht, an die Miles-Davis-Platte „Kind of Blue“.

So leiten Heinz Sauer und Michael Wollny die Aufnahmen mit dem Davis-Titel „All Blues“ ein, den sie keineswegs nachspielen, dem sie stattdessen nachhören, indem sie ihn verlangsamen, ihm den kühlen Miles-Davis-Ton nehmen, rhythmisch und melodisch aufbrechen. Alle drei Musiker berufen sich auf den Blues im Jazz, alle drei lieben die freie Improvisation im Umgang mit dem vorgegeben Material und im Zusammenspiel miteinander, aber der Unterschied in der musikalischen Sozialisation zwischen Joachim Kühn und Michael Wollny ist nicht zu überhören. Während Kühn im Tonfall und in seiner eigenen Formensprache sich mit geradezu lässiger Eleganz, ebenso verspielt wie lakonisch, auf klassische Stücke von Duke Ellington („Lover Man“) bezieht, scheint Wollny seine flüchtigen Ideenskizzen und Klavierfarben aus einer romantisch zerklüfteten Dunkelheit zu holen, die ihn dann aber – im Zusammenspiel mit Heinz Sauer – zu den allerschönsten einfach gehaltenen, fast popartig leichten Melodien führt, zu unsentimentaler Schönheit, die einem „sentimental mood“ von Ellington in nichts nachsteht.

Mag es noch so gewagt sein, die beiden Pianisten, die sich hier nur über den Umweg ihres Zusammenspiels mit dem großartigen Saxophonisten Heinz Sauer begegnen, ergänzen sich, reiben sich auch, erzählen einander die unterschiedlichen Geschichten und Seiten des Jazz, sind sich jedoch einig in ihrem entschiedenen Willen zum Aufbruch, zur Erneuerung, zur Auflösung aller konventionellen Formen, um dennoch immer wieder zurückzukehren zur Schönheit der Melodie (Wollny) und zum Raffinement eines temperamentvollen Spiels, das die gesamte Geschichte des Jazz einschließt (Kühn).

„Still around Redford“ nennen Sauer und Wollny den Schlusstitel des Albums, eine Eigenkomposition, in der aus den schweren fremden Klängen des Pianos plötzlich eine Melodie herausbricht wie eine vollkommen unerwartete Welle, die alles in einem neuen Licht erscheinen lässt. Es ist auch das Licht des altersweisen und doch so jung gebliebenen Saxophonisten, der sein Instrument mit expressiver Innerlichkeit zu einem beseelten Ausdruck seiner selbst macht, in dem jeder Ton wahrhaftig wirkt.

IF (BLUE) THEN (BLUE) ist nicht zum schnellen Konsumieren gedacht, diese Musik verlangt konzentriertes Hinhören, aber wer sich darauf einlässt, wird ganz überraschend – plötzlich – reich beschenkt.

 

© Hans Happel, 14. Februar 2010

 


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