vorschau  VLADYSLAV SENDECKI
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Die Fesseln gelöst
von Hans Happel

 

Er genießt seit fast dreißig Jahren einen glänzenden Ruf als Musicians´ Musician. Jetzt hat er sich mit einem fulminanten Solo-Album aus dem Schatten der vielen Größen, denen er „als klangsinniger Pianist von höchster harmonischer Rafinesse, als sicherer Bepopper und Multikeyboard-Spezialist der Extraklasse“ (rowohlts Jazz-Lexikon) zur Verfügung stand, heraus gespielt.

Vladyslav Sendecki, 1955 in Warschau geboren, wollte zunächst Konzertpianist werden, aber während seines Studiums am Frederic-Chopin-Konservatorium und an der Musikakademie Krakau gerieten ihm die Platten westlicher Jazz-Musiker unter die Finger. 1981 emigrierte er in die Schweiz und gehört seitdem zu den gefragten Sidemen der internationalen Jazz-Szene. Seit 1995 lebt er in Deutschland, er ist Mitglied der renommierten Solisten-Bigband des NDR und hat in Hamburg das „Hamburg Jazz Quartett“ gegründet.

In den Liner-Notes zu dem Album „opus absolutum“ (2003), auf dem Sendecki den polnischen Kontrabassisten Vitold Rek und den Altmeister des lyrischen Saxophonspiels, Carlie Mariano, begleitet, feiert ihn Michael Naura als seinen „europäischen Piano-Favoriten“. Und die New Yorker Village Voice erklärt ihn gar zu „einem der fünf besten Jazz-Pianisten der Welt“. Vielleicht helfen ihm diese Zuschreibungen gar nicht.

Vladyslav Sendeckis Album mit dem schlichten Titel „Solo Piano“ enthält 10 Stücke, sieben wurden am 28. Januar dieses Jahres auf Schloss Elmau live mitgeschnitten, drei weitere am selben Ort in den Stunden zuvor aufgenommen. Sie bringen einen Pianisten zu Gehör, der ohne Zweifel von der klassischen Musik geprägt ist, der mit opulentem Ton großflächige, breite Klanglandschaften entfaltet, der stets streng motivisch arbeitet, der den Wechsel der Farben, der Tempi, der Figuren nie sprunghaft einleitet, sondern allmählich aufbaut, so dass zwischen Chopin- und Bluesanklängen, zwischen Volkslied, Bach-inspirierten Soli und einem locker parlierenden Lennon-McCartney Song „Blackbird“ keine Welten liegen.

Im Gegenteil: Sendecki verschmilzt die disparaten Welten in seinem opulenten musikalischen Flussbett zu einer einheitlichen und eigenständigen Form. Er unterscheidet sich im Tonfall deutlich von anderen zeitgenössischen Pianogrößen wie Brad Mehldau, Joachim Kühn oder Michael Wollny. Er ist weniger kantig als Kühn, weniger avantgardistisch als Wollny, auch weniger elegisch als Mehldau. Die klassische Herkunft seines getragenen und warmen Spiels bestimmt Farben und Schattierungen.

In diesen Qualitäten liegt auch eine Gefahr: Sendecki ist ein „Mutant“ – so heißt eins seiner Stücke -, er nimmt unzählige Einflüsse in sich auf und weiß sich ihrer Vielfalt kaum zu erwehren, er selber hat sich einmal „Spielball der Dämonen“ genannt, und hinzugefügt, er wolle nicht mehr nur die Erwartungen anderer erfüllen, sondern geben dürfen, „was ich bin“.

Vladyslav Sendecki löst die Fesseln der fremden Dämonen, indem er alle seine Seiten zu Gehör bringt: die bittersüße Färbung von Kindheitserinnerungen im traditionellen „Wiegenlied“ ebenso wie die Chromatik der osteuropäischen Musiktradition im „Karpaten-Blues“, eine winterliche Schlittenfahrt in „Sledge ride“, die sich zu rasendem Tempo steigert sowie eine Hommage an den großen Geiger und Landsmann Zbigniew Seifert, „Evening Psalm“ zu dessen 30. Todestag, ein Stück mit durchgehendem Ostinato, das Sendecki als ein Werk der klassischen Moderne vorführt.

In allem lässt er die eigene Handschrift hören und zeigt, dass er als Solist seinen Stil gefunden. Mit „Solo Piano“, dem Debüt-Album bei ACT, dürfte er künftig auch öffentlich wahrgenommen werden als einer der Meister seines Instruments.

© Hans Happel, 12. September 2010


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