Es
gibt weibliche Stimmen in der Jazz-Szene, die ganz verrückt machen
können, und wenn "man" sie hört, fällt einem
zuerst ein, ihren "erotischen Kick" und ihr entsprechend
geheimnisvolles Timbre zu preisen. Natürlich weiß "man",
dass ihre künstlerische Kraft aus vielen Facetten besteht. Selbst
Marilyn Monroe, deren gesungene Geburtstagsgrüsse für Mr.
President ausschließlich unter dem Erotik-Etikett verbucht werden,
hat den schlichten Stempel keineswegs verdient.
Mit
ihrer Stimme verbinden sich eine Haltung und eine Aura, in der Naivität
und Ironie in der Schwebe gehalten werden. Marilyns Gesang verstärkt,
was sie als Schauspielerin ohnehin verkörpert: ein ironisches
Spiel mit Klischees.
Um
den spielerischen Umgang mit vorgegebenem Material geht es auch der
Norwegerin Solveig Slettahjell, die als Vokalistin im Slow Motion
Quintett zu den aufregendsten jüngeren Jazz-Sängerinnen
der Gegenwart gehören dürfte.
Ihr aktuelles Album "Silver" - im letzten Jahr in Oslo aufgenommen
- präsentiert sie als Meisterin der Langsamkeit. Während
die Kollegin Erika Stucky ("Princess") ihr Pop-Material
dekonstruiert, indem sie es auseinander nimmt und collagiert, bremsen
Solveig Slettahjell und ihre vier Instrumentalisten den melodiösen
Fluss der klassischen Nummern aus dem great american Songbook, die
um Lieder von Nina Simone oder Tom Waits ergänzt werden.
Fast
alle diese Songs hat man schon einmal gehört, aber nicht so wie
hier und selten so intensiv wie Solveig Slettahjell sie vorträgt.
Sie legt ihr Material unter die Lupe, genauer: unter die Zeit-Lupe,
sie befragt die Stücke nach ihrer musikalischen Kraft. Selbst
Henry Mancinis viel zu viel gespieltes "Moon River" klingt
in der Slow Motion Version wie neu, so einfach und unprätentiös
setzen die Musiker den langsamen Walzertakt ein. Als Sängerin
beherrscht Solveig Slettahjell die feinsten Nuancierungen, sie kann
weich und rau, hell und dunkel klingen, kann vom ganz intimen, leisen
Wiegenlied-Gesang (Jerome Kerns "Look for the silver lining"
singt sie a capella) zur mächtigen Soul-Arie wechseln.
Mit
Nina Simones "Nobody´s fault but mine" wird ihre Stimme
so mächtig, wie es diesem Song - mitten aus dem Herzen des Soul
- gebührt. Niemals lässt sie ihre Musiker im Hintergrund.
Im Gegenteil: Der Pianist Morton Ovenild und der Trompeter Sjur Miljeteig
erhalten Raum für elegante und cool geführte Solo-Improvisationen,
die den herben und melancholischen Charakter dieser Liebeslieder -
und darum handelt es sich fast ausschließlich - unterstützen.
Es
sind ebenbürtige Musiker, die die fesselnde Stimme der jungen
Sängerin nicht nur einkleiden, sondern sie umspielen und das
musikalische Material - ebenfalls in der gebotenen Langsamkeit - weiterverarbeiten
(diskret und percussiv im Hintergrund: Drummer Per Oddvar Johansen).
So
wird Cole Porters "What is this thing called love" in eine
meisterliche Improvisation überführt, und "Time after
time" wird zu einem Duett zwischen Stimme und Bass (Mats Eilertsen),
dessen Kargheit und Transparenz jeden falschen Schmelz aus diesem
schönen Song wegbrennen.
Gefälligkeit
ist die Sache des Slow Motion Quintetts nicht. Kein Bar&Lounge-Jazz,
kein dekoratives Geplätscher, sondern ein genaues Hinhören
auf die innere Kraft der Songs, die hier vorgestellt werden. Das beginnt
schon mit "Take it with me" von Tom Waits und Kathleen Brennan,
ein Liebeslied, das in dieser dichten und intimen Version den Rang
eines Klassikers erhält.
Wie
bewusst Solveig Slettahjell an die Großen unter den Jazz-Sängerinnen
anknüpft, zeigt ihre versteckte Hommage an Ella Fitzgerald, deren
Kunst des Chat-Gesangs sie - im Zwiegespräch mit dem Bass - in
"Time after time" zu einem Höhepunkt dieses in jeder
Hinsicht bemerkenswerten Albums macht.
"Solveig
Slettahjell & Slow Motion Quintett : Silver"
ist ein Beitrag von Hans Happel
© Hans Happel, Juli 2005