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Die innere Kraft
der Songs

von Hans Happel


Es gibt weibliche Stimmen in der Jazz-Szene, die ganz verrückt machen können, und wenn "man" sie hört, fällt einem zuerst ein, ihren "erotischen Kick" und ihr entsprechend geheimnisvolles Timbre zu preisen. Natürlich weiß "man", dass ihre künstlerische Kraft aus vielen Facetten besteht. Selbst Marilyn Monroe, deren gesungene Geburtstagsgrüsse für Mr. President ausschließlich unter dem Erotik-Etikett verbucht werden, hat den schlichten Stempel keineswegs verdient.

Mit ihrer Stimme verbinden sich eine Haltung und eine Aura, in der Naivität und Ironie in der Schwebe gehalten werden. Marilyns Gesang verstärkt, was sie als Schauspielerin ohnehin verkörpert: ein ironisches Spiel mit Klischees.

Um den spielerischen Umgang mit vorgegebenem Material geht es auch der Norwegerin Solveig Slettahjell, die als Vokalistin im Slow Motion Quintett zu den aufregendsten jüngeren Jazz-Sängerinnen der Gegenwart gehören dürfte.

Ihr aktuelles Album "Silver" - im letzten Jahr in Oslo aufgenommen - präsentiert sie als Meisterin der Langsamkeit. Während die Kollegin Erika Stucky ("Princess") ihr Pop-Material dekonstruiert, indem sie es auseinander nimmt und collagiert, bremsen Solveig Slettahjell und ihre vier Instrumentalisten den melodiösen Fluss der klassischen Nummern aus dem great american Songbook, die um Lieder von Nina Simone oder Tom Waits ergänzt werden.

Fast alle diese Songs hat man schon einmal gehört, aber nicht so wie hier und selten so intensiv wie Solveig Slettahjell sie vorträgt. Sie legt ihr Material unter die Lupe, genauer: unter die Zeit-Lupe, sie befragt die Stücke nach ihrer musikalischen Kraft. Selbst Henry Mancinis viel zu viel gespieltes "Moon River" klingt in der Slow Motion Version wie neu, so einfach und unprätentiös setzen die Musiker den langsamen Walzertakt ein. Als Sängerin beherrscht Solveig Slettahjell die feinsten Nuancierungen, sie kann weich und rau, hell und dunkel klingen, kann vom ganz intimen, leisen Wiegenlied-Gesang (Jerome Kerns "Look for the silver lining" singt sie a capella) zur mächtigen Soul-Arie wechseln.

Mit Nina Simones "Nobody´s fault but mine" wird ihre Stimme so mächtig, wie es diesem Song - mitten aus dem Herzen des Soul - gebührt. Niemals lässt sie ihre Musiker im Hintergrund. Im Gegenteil: Der Pianist Morton Ovenild und der Trompeter Sjur Miljeteig erhalten Raum für elegante und cool geführte Solo-Improvisationen, die den herben und melancholischen Charakter dieser Liebeslieder - und darum handelt es sich fast ausschließlich - unterstützen.

Es sind ebenbürtige Musiker, die die fesselnde Stimme der jungen Sängerin nicht nur einkleiden, sondern sie umspielen und das musikalische Material - ebenfalls in der gebotenen Langsamkeit - weiterverarbeiten (diskret und percussiv im Hintergrund: Drummer Per Oddvar Johansen).

So wird Cole Porters "What is this thing called love" in eine meisterliche Improvisation überführt, und "Time after time" wird zu einem Duett zwischen Stimme und Bass (Mats Eilertsen), dessen Kargheit und Transparenz jeden falschen Schmelz aus diesem schönen Song wegbrennen.

Gefälligkeit ist die Sache des Slow Motion Quintetts nicht. Kein Bar&Lounge-Jazz, kein dekoratives Geplätscher, sondern ein genaues Hinhören auf die innere Kraft der Songs, die hier vorgestellt werden. Das beginnt schon mit "Take it with me" von Tom Waits und Kathleen Brennan, ein Liebeslied, das in dieser dichten und intimen Version den Rang eines Klassikers erhält.

Wie bewusst Solveig Slettahjell an die Großen unter den Jazz-Sängerinnen anknüpft, zeigt ihre versteckte Hommage an Ella Fitzgerald, deren Kunst des Chat-Gesangs sie - im Zwiegespräch mit dem Bass - in "Time after time" zu einem Höhepunkt dieses in jeder Hinsicht bemerkenswerten Albums macht.

"Solveig Slettahjell & Slow Motion Quintett : Silver"
ist ein Beitrag von Hans Happel
© Hans Happel, Juli 2005


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