Mit
Almamegretta haben wir bereits vor einiger Zeit eine Band aus Neapel
vorgestellt. Jetzt tritt eine neue Gruppe den Beweis an für das
künstlerische Potenzial, das in der süditalienischen Metropole
zu Hause ist. "Spaccanapoli" (von spaccare: spalten), wie
die Napolitaner ihren Altstadtkern nennen, bezeichnet vor allem die
katastrophale stadtplanerische Situation, wie sie in Neapel bis Mitte
der 90er Jahre herrschte. Die Altstadt war in den Klauen eines nicht
zu bändigenden Autoverkehrs. Mitten durch die zentrale Piazza
San Domenico rauschten die Autokolonnen der Via Bernardo Croce und
bildeten ein fast unpassierbares Hindernis, einen tiefen Spalt mitten
in der historischen Altstadt.
Spaccanapoli,
die Band, kommt selber nicht aus diesem Teil der Stadt, sondern aus
dem Vorort Pomigliano d'Arco, in dem seit Mitte der 70er Jahre als
Teil eines Regierungsprogramm zur Stärkung der ökonomischen
Infrastruktur eine Fabrik von Alfa Romeo ansässig ist. Zwar wurden
durch die Ansiedlung neue Arbeitsplätze geschaffen, aber die
weitreichenden Änderungen des ursprünglichen Lebens in Pomigliano
gefiel den Einheimischen nicht. Eine Gruppe von Fabrikarbeitern, inspiriert
von kommunistischen Idealen und den alten Wurzeln der Musik, des Straßentheaters
und des traditionellen Karnevals, gründete 1974 die "Grupo
Operario E Zezi". "Zeza" bedeutete ursprünglich
eine fröhliche Zusammenkunft von Arbeitern, bei der reichlich
Wein, Brot und Salami konsumiert werden, während einzelne Mitglieder
der Gemeinschaft Straßentheater machen, tanzen oder traditionelle
Lieder singen.
Die
Grupo Operario E Zezi, aus der Spaccanapoli hervorgingen, entdeckte
und erneuerte die alten Gepflogenheiten. Dem traditionellen Line-Up
Gesang, Trommel, Castagnetten, Maultrommel und Percussions fügten
sie Gitarren, Kontrabass, Keyboards und Akkordeon hinzu und komponierten
auch zahlreiche neue Lieder, deren Inhalte oft hochpolitisch sind:
Kritik an den Lebensverhältnissen und den Produktionsbedingungen,
Protest gegen den Kapitalismus.
Natürlich
werden die Texte im hart und derb klingenden Dialekt Neapels gesungen.
Im Booklet sind allerdings leider nur die englischen Übersetzungen
abgedruckt, ärgerlich für Romanisten und andere Sprachen-Interessierte.
Dass das Album entsprechend "Lost Souls" heißt ("Aneme
Perze" ist nur der eingeklammerte Untertitel), ist ein Schönheitsfehler,
denn selbstredend gibt es kein einziges englischsprachiges Lied auf
der CD.
Wie
auch Almamegretta schöpfen Spaccanapoli aus dem kulturellen Reichtum
der Campania und Neapels, indem sie italienische, griechische, spanische
und arabische Einflüsse miteinander verbinden, um moderne Stilelemente
ergänzen und dann die Lunte zünden: Ihre Musik ist ursprünglich,
explosiv und feurig - aber trotz aller Lebensfreude hintergründig
und politisch.
In
der Volksmusik Spaccanapoli äußern sich die erdrückenden
Lebensverhältnisse Süditaliens. Zwei Jahrhunderte spanischer
Fremdherrschaft, absolutistische Regentschaften diverser Fürsten
und Barone, die Camorra und die Misswirtschaft durch lokale und nationale
Politiker und Regierungen haben der geplagten Region ihren Stempel
aufgedrückt.
Neben
dem politischen Protest gibt es auf "Aneme perze" (Verlorene
Seelen) aber auch Liebeslieder, Karneval, und Lieder, in denen der
Vesuv besungen wird, der Vulkan, der die Landschaft am Golf von Neapel
regiert.
"Aneme
Perze" ist die erste Veröffentlichung Spaccanapolis für
Peter Gabriels Realworld-Label, das seinem beeindruckenden Katalog
damit ein weiteres Highlight hinzufügen konnte. Denn die Musik
ist einfach zu gut, um nur in Neapel gehört zu werden !
AG
/ 20. Januar 2001
Quellen: www.realworld.on.net