Ein
Musiker kehrt zu seinen Wurzeln zurück. Der Pianist Didier Squiban
ist Bretone und arbeitet mehrere Jahre lang an einer Heimat-Trilogie
in moll, deren letzter Teil jetzt unter dem Titel "MOLENE"
erschienen ist.
Molene
ist der Name einer Inselgruppe, die der bretonischen Westküste
gegenüber liegt, wo der Mittvierziger Squiban geboren ist. Für
ihn lag Molene "am Ende der Welt", bevor er sie vor zwei
Jahren zum erstenmal betreten hat.
Molene
lag ebenso nah und zugleich weit entfernt wie die Musik, die hier
zu hören ist. Es ist die Musik seiner Kindheit, es sind traditionelle
Lieder aus der Bretagne, Kirchenlieder, Liebeslieder, Volkstänze,
und eigene Kompositionen, in denen Squiban sich von Themen zeitgenössischer
bretonischer Sänger oder von bretonischen Gedichtzeilen und von
der Landschaft inspirieren läßt.
Das
ist ganz direkt geschehen, denn sein Piano hat er für diese Aufnahmen
auf die Insel transportieren lassen, wo er sie in einer Kirche einspielt.
"Das Klavier, die Bretagne, das Meer" sind für ihn
die "drei Ecksteine" dieses Albums und "Tri Men"
(bretonisch drei Steine) heißt die erste von insgesamt drei
"Suiten für Piano".
Die
Form der Suite erlaubt dem Musiker die zwanglose, lockere Zusammenstellung
verschiedenartiger Themen, die sich in ihrem melancholischen Grundzug
ähnlich sind. Eine herbe Wehmut spricht aus fast allen traditionellen
Weisen, die Squiban gesammelt hat. Es sind ursprünglich Lieder,
die er sich während seiner Recherche vorsingen ließ, und
in seiner Bearbeitung für Klavier gibt er ihnen durch sein trockenes,
fast minimalistisches Spiel einen geschliffen klaren Glanz.
Schmerz
und Sehnsucht, Einsamkeit und Tristesse, Grundformeln der allermeisten
Melodien, verlieren sich nicht an sentimentales Pathos.
Auch
die eigenen Kompositionen fügen sich nahtlos in dieses Klangbild
ein. "Bannec", das letzte Stück der CD, ist ein Stimmungsbild,
eine kleine, ergreifende Melodie, während der Aufnahme erst entstanden,
die die Einsamkeit der Inselwelt beschwört.
Didier
Squiban hat sich weit von den Wegen des Jazz-Musikers entfernt, die
er in seiner Entwicklung vom Bepop zum poetischen Jazz eines Jan Garbarek
gegangen ist.
Das
erste Stück "Ar Baradoz" (Paradies) nimmt ein religiöses
Motiv auf, und ein religiös-meditativer Charakter gehört
zur bevorzugten Klangfarbe der Suiten. Squiban nähert sich den
traditionellen Weisen in aller Schlichtheit an, er führt sie
ohne harmonische und melodische Brechungen vor.
Auch
wenn sein Klavierspiel die meditative Versenkung des frühen Keith
Jarretts wachruft, und die titelgebende Eigenkomposition "Tri
Men" wie eine Verbeugung vor dem Meister der "Köln
Concerts" gehört werden kann, entfernt er sich entschieden
von dessen Wegen.
Squiban
hält sich eng an die musikalischen Vorlagen, er verwandelt sie
nicht improvisatorisch zu weiträumigen Klanggemälden, er
lauscht andächtig ihrem eigenen Charakter. Auch auf die Gefahr
hin, dass er dabei an allzu schöner, naiver Stimmungsmalerei
hängenbleibt.
Denn
das ist der Preis, den er für seine weise Beschränkung zahlt:
So wie die schönen Fotos der Inselwelt von Molene - im üppigen
CD-Booklet - einem Reiseführer entnommen sein könnten, so
ist auch Squibans schönes Klangbild nicht gefeit davor, ein angenehmes
Wehmutsgefühl in verschiedenen Variationen zu illustrieren. Aber
Squibans trockener und authentischer Tonfall macht diese einfachen
Melodien außerordentlich stark, und ihr Reiz wird nach mehrmaligem
Hören keineswegs geringer.
"Didier
Squiban: Molène" ist eine Gast-Kritik
von Hans Happel (November 2002).
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