Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

Soghafte Impressionen


Es ist ein Reisetagebuch. Kristi Stassinopoulou und Stathis Kalyviotis erzählen vom Blick aus der 12. Etage eines Hotels in Montreal, überraschenden Ähnlichkeiten zwischen der griechischen Sprache und Sanskrit, oder auch der violetten Sonne, die am Strand von Jaffa im Mittelmeer versinkt. So gegensätzlich können Reiseerlebnisse sein, doch in der Erinnerung gibt es keine Gewichtung, jeder gebührt eine eigene Seite in diesen ungewöhnlichen, reichen und betörenden Erzählungen.

Stassinopoulou und Kalyviotis, beide stammen aus Griechenlands ebenso unvergänglicher wie unerträglicher Hauptstadt Athen, arbeiten schon seit Beginn der 90er Jahre zusammen. In der Clubszene Griechenlands sind sie längst etabliert und für einen experimentierfreudigen Sound bekannt, dessen Möglichkeiten sie auf ihrem Album "Taxidoscopio" bis ins kleinste Detail ausloten: Buzuki-Pop und Rembetiko-Rock, arabische Rhythmen, Ethnopunk und traurige Geigen.

Gemeinsam bereisten Kristi Stassinopoulou und Stathis Klyviotis ein Dutzend Stationen auf drei Kontinenten. So bekamen die Songs ihres Albums, die jeweils die Geschichte einer Etappe erzählen, jeweils eine ganz eigene Färbung, und im Gegensatz zur Eindimensionalität eines Urlaubsfotos vermitteln die Songs einen soghaften Eindruck des Orts und seiner unverwechselbaren Atmosphäre.

Ausgangspunkt der Reisen bleibt jedoch Athen. Die griechische Herkunft wird nicht negiert, nicht preisgegeben, sondern integriert. Für "uns" Nicht-Griechen, denen die Musik dieser alten Kultur immer noch ein weißer Fleck auf der musikalischen Europakarte ist, ist der Einblick, den "Taxidoscopio" gewährt, allemal ein lohnender. Nahezu unendlich erscheinen nämlich die Entdeckungen, die das Album bereithält, und vermutlich dürfte es selbst griechischen Fans von Stassinopoulou & Kalyviotis schwer fallen, die vielfältigen und fest ineinander verwobenen Klänge nach ihrer jeweiligen Herkunft zu entwirren: Griechenland ist seit jeher Europas kulturelle Brücke nach Süden und Osten. Hier kamen beispielsweise vor über tausend die ersten der aus Indien vertriebenen Roma an - bis heute ein Volk, dessen Musik auch nichts anderes ist als das Dokument einer unendlichen Odyssee, die ihren Eindruck auch bei Stassinopoulou & Kalyviotis nicht verfehlte.

Wer tiefer eintauchen möchte in diese bunte Klangwelt, dem bleibt nur die Spurensuche selbst, indem man dem Reisetagebuch des Duos folgt und sich zu den Originalplätzen begibt. Man kann damit praktisch vor der eigenen Haustür anfangen: Bei Fahrten auf deutschen Autobahnen, so Stassinopoulou, habe sie sich "an Kraftwerk" erinnert gefühlt. Das klingt zwar weit weniger malerisch als die Erlebnisse aus Andalusien oder Jaffa - aber als Deutungsansatz scheint die These durchaus diskussionswürdig.

© Michael Frost, 18.02.2007

 


[Archiv] [Up]