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Hausmusik für
Schlossherrn


"Ach schön ", möchte man sagen, "da hat sich Schlossherr Sting nun die passende Musik fürs Heim geschaffen." Und ein wenig ist es wohl so, stammt doch die Musik seines neuen Albums "Songs from the labyrinth" aus der Feder eines Komponisten der Renaissance: John Dowland (1563-1626). Dowland galt als Virtuose auf der Laute, und ein eben solches Instrument befindet sich seit einigen Jahren auch im Besitz von Sting, und problemlos mag man sich den Megastar vorstellen, wie er für Freunde und Familie in einem stilvoll möblierten Raum seines englischen Schlosses, ein prasselndes Kaminfeuer im Hintergrund, ein feines und sehr aristrokatisches Privatkonzert gibt.

Klaus Jacobsen habe die achtsaitige Laute für ihn gebaut, berichtet Sting im Booklet, doch die übliche Rose in der Mitte des Resonanzkörpers habe er als Labyrinth gestaltet, unüblich für die Renaissance, aber ein umso kunstvolleres Detail. So beeindruckt war er, dass Sting das Labyrinth als Motto seines Albums wählte und außerdem eines in seinem Park anlegen ließ, "over 40 feet in diameter", wie der Schlossparkherr stolz vermeldet.

Nun, ein wenig hat Sting sich wohl im eigenen Labyrinth verirrt. Denn den post-mediaevalen Gesängen folgt nun der Abgesang auf die eigene Vergangenheit und damit ein irritierendes programmatisches Postulat.

"Der Rock liegt im Sterben", verkündete er anlässlich seiner Dowland-Songs im "Stern", und mehr noch: "Rock ist zu Tode reaktionär". Immerhin, das sagt einer, dessen gesamte Karriere auf die Rockmusik gründet - von der er nun nichts mehr wissen will. Der "kreativer Endlosschleife" (Sting) wolle er entkommen, gab er den Stern-Redakteuren zu Protokoll.

Die Einsicht kommt spät. War er es nicht, der in der Pause seiner Konzerte Werbeclips über die Großbildleinwand flimmern ließ und damit der Verbindung von Rock und Kommerz Vorschub leistete, abseits dessen aber kaum noch neue Ideen produzierte und sich statt dessen mit der Reproduktion von Bewährtem begnügte?

"Wir lügen uns selbst in die Tasche", erkennt Sting heute, und das gilt zweifellos auch für seine eigenen Veröffentlichungen der vergangenen Jahre, die nicht nur vom 3sat-Magazin Kulturzeit süffisant als "Kuschelpop" eingestuft wurden.

Nur: Sting ist - zum Glück - nicht repräsentativ für den Zustand des Rock. Innovative Bands wie Radiohead oder Sigur Rós blendet seine Grabrede fahrlässig aus, er spricht Franz Ferdinand, den Arctic Monkey oder Mando Diao Originalität ab, und er diskreditiert Kollegen seiner eigenen Generation, die zum Teil heute noch ebenso kreativ sind wie ehedem: David Bowie, Nick Cave uvam.

Und noch rätselhafter wird es, wenn als Antwort auf die vermeintliche Existenzkrise eines ganzen Genres nun ein Komponist herhalten soll, der vor 400 Jahren starb. Rückbesinnung ist sicherlich nicht die schlechteste Idee, um daraus Kraft für die eigene Zukunft zu schöpfen, doch wirklich neu ist das alles nicht. Andere Musiker kümmern sich schon lange um die Wiederentdeckung vergangener Melodien: Angelo Branduardi etwa. Der Italiener veröffentlichte bereits drei Ausgaben seines "Futuro Antico"-Projekts, mit dem er Kompositionen verschiedener Epochen entstaubte, um seine Fans für die historischen Wurzeln seiner Musik zu gewinnen.

Hätte Sting es bei einer ähnlichen Zielsetzung belassen, man könnte seine "Songs from the labyrinth" ohne Beigeschmack genießen und wäre dem Meister dankbar für die Entdeckung Dowlands. Denn Stings Umsetzung ist ohne Zweifel phänomenal. Schon lange nicht mehr klang seine Stimme so direkt, ungestellt und authentisch, und der bosnische Lautenvirtuose Edin Karamazov, der Stings Gesang nicht nur kongenial begleitet, sondern in zur stimmlichen Ausnahmeleistung antreibt, ist ein Juwel seiner Zunft.

Nur die programmatische Überhöhung stört. So hat der Schlossherr wohl wirklich die passende Hausmusik gefunden, aber nicht die passenden Worte, um sie zu erklären.

© Michael Frost, 13.10.2006

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Angelo Branduardi

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