.

 

 

Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

Prinzessin, Domina
und Königin

von Hans Happel


Wer sie sein will, verrät sie mit ihrer eigenwilligen Verpackung: Ihrem dritten Album Princess hat die Sängerin Erika Stucky eine Erbse beilegen lassen, eine einzelne Erbse, die im durchsichtigen Seitenscharnier der CD-Hülle wie in einem jener kleinen Geduldsspiele von Loch zu Loch hüpfen kann, eine Linie winziger Felder, alle in Farbe und Form eines Frosches, der auf der Rückseite des Albums noch einmal groß und fett auftaucht.

Froschkönig trifft Prinzessin auf der Erbse - heißt so der Märchensalat, der hier angerichtet wird? Genau genommen ist es umgekehrt: Eine Prinzessin sucht ihre Prinzen, und die findet sie in den Fröschen, die sie erst mal an die Wand schmeißen, das heißt auseinander nehmen muss.

Die amerikanisch-schweizerische Vokalistin, 1962 im Oberwallis geboren, aufgewachsen in San Francisco, als Teenagerin in die Schweiz zurück gegangen, hat nach ihrer Gesangs- und Schauspielausbildung in Paris an vielen musikalisch-theatralischen Projekten in Europa und Amerika teilgenommen.

In Princess streift sie sich Andersens und Grimms Märchen-Kleider über und entzieht sich mit ihrer Musik allen eindeutigen Zuordnungen, obwohl sie eindeutig wiedererkennbar ist: Denn sie arbeitet mit einer radikal einfachen Methode. Sie ist Minimalistin, eine Kammermusikerin, die sich mit einem ungewöhnlichen Klangbild umgibt. Sie wird von zwei Blasinstrumenten begleitet, die weder im Jazz noch in der Pop-Musik eine Hauptrolle spielen, Basstuba und Posaune.

In diesem Trio - gelegentlich ergänzt vom Blechseptett Mnozil Brass um den Trompeter Thomas Gansch, der einige suggestiv lyrische Soli beisteuert - bekennt sich die Jazz-Sängerin zu ihren Lieblingen aus der Königs-Klasse der Pop-Musik. Neben Prince und Michael Jackson singt sie Songs von Kurt Cobain, Freddy Mercury und Elvis Presley. Sie covert sie nicht, sie entkleidet sie von allem pompösen Beiwerk, sie entfernt den musikalischen Glamour, sie reduziert sie auf ihren Kern. Um im Märchen-Bild zu bleiben: Sie entdeckt in den Fröschen die Königskinder wieder.

"Queen Mom" heißt ihr Schlusstitel, eine von mehreren Eigenkompositionen, in der düster-elegische Töne mit Ironie und Witz gebrochen werden. "I most definately have a heart for losers" singt sie da, und in diesem Licht scheinen die von ihr umarmten Könige des Pop ihre gefallenen, verlorenen oder vergessenen Söhne zu sein. Sie selber sagt: "Ich mag die bösen Buben des Rock".

Es ist unglaublich, wie viel Power Erika Stucky in knappen dreieinhalb Minuten aus Michael Jacksons Welthit "Bad" herausholt. Der abgenudelte Popsong funkelt wie neu. Stuckys dunkle, warme und erotische Stimme gibt ihm Herz und Seele zurück, und die Bläser Jon Sass (Bass-Tuba) und Bertl Mütter (Posaune, Euphonium) lassen den bekannten Riff dank der ebenso sparsamen wie schrägen Besetzung heftig grooven.

Die weisse Sängerin collagiert den Song des "ersten schwarzen Künstlers außerhalb des Jazz, der zum globalen Idol jenseits aller Rassenschranken aufsteigen konnte" (Rock-Lexikon), mit der Erinnerung an einen anderen farbigen König: Ein Sportreporter spricht von Mohammed Alis Boxkampf in Afrika, unter den Song "Bad" mischen sich die "Ali-Ali"-Rufe. Warum? Der Zeitung JAZZTHETIK erzählt Erika Stucky: "Ich bin in San Francisco aufgewachsen, und das waren meine ersten Bilder von Ali im Fernsehen: "I´m bad, I´m so baaaad, I´m the greatest - als Kinder haben wir das immer nachgeäfft. Und dann kam dieser Michael Jackson mit seinem Song und ich habe ihm kein Wort geglaubt. Für mich war ganz klar, dass ich die beiden Dinge verknüpfen muss. Ich wollte "Bad" singen, Jackson war der King of Pop, er passte also in mein Konzept -, aber da musste Ali rein, denn the real bad guy is Cassius Clay."

Revitalisierung durch Verfremdung und Vereinfachung heisst das Konzept von Erika Stucky. Das ist nicht nur verblüffend originell, es geht musikalisch überzeugend auf. Aus dem strahlend-pompösen Gruppengesang des ersten Queen-Hits "Killer-Queen" macht sie die düstere Adagio-Arie einer exzentrischen Diva, während sie in Presleys "Jailhouse Rock" das Tempo anzieht und sich in eine kindlich kreischende Rock-Göre verwandelt. "Sometimes it snows in april" von Prince glänzt im Licht dieses Trios als eine wunderbar getragene Ballade, deren Schönheit vor dem Vergessen gerettet wird. In Kurt Cobains posthum veröffentlichtem "You know you´re right" zerdehnt und zerkaut Erika Stucky den Refrain so, als wolle sie lauthals ihr Fragezeichen hinter der Titelzeile hörbar machen.

Immer geht es um den musikalischen Kern, um Transparenz und Reduktion. Ihre eigenen Songs mischen Sentiment und Pathos mit ironischen Zwischentönen und makabren Bildern. In "Die like a hero" empfiehlt sie ihrem nicht genannten Helden statt der möglichen Flucht einen 100-jährigen Tiefschlaf, bei dem sie ihn bewachen würde. In ihrem Eingangslied "Fearless" ist sie das Mädchen mit den kurzen Fingernägeln, die Sängerin mit den kalten Füssen und endlich die furchtlose Amazone, der niemand etwas antun kann, denn sie ist "winterproof like a good new shoe" und: "My Aura is made of Gold."

Erika Stucky ist eine Märchenerzählerin, ein Clown, eine Prinzessin auf der Erbse und eine Domina, die energisch zupacken kann, vor allem ist sie eine königliche Sängerin, die im Crossover aus Pop und Jazz ihre eigene Form gefunden und ein herzzerreißend schönes Album gemacht hat.

© Hans Happel, 29. Mai 2005

Weitere Beiträge von Hans Happel


[Archiv] [Up]