Wer
sie sein will, verrät sie mit ihrer eigenwilligen Verpackung:
Ihrem dritten Album Princess hat die Sängerin Erika Stucky
eine Erbse beilegen lassen, eine einzelne Erbse, die im durchsichtigen
Seitenscharnier der CD-Hülle wie in einem jener kleinen
Geduldsspiele von Loch zu Loch hüpfen kann, eine Linie
winziger Felder, alle in Farbe und Form eines Frosches, der
auf der Rückseite des Albums noch einmal groß und
fett auftaucht.
Froschkönig
trifft Prinzessin auf der Erbse - heißt so der Märchensalat,
der hier angerichtet wird? Genau genommen ist es umgekehrt:
Eine Prinzessin sucht ihre Prinzen, und die findet sie in
den Fröschen, die sie erst mal an die Wand schmeißen,
das heißt auseinander nehmen muss.
Die
amerikanisch-schweizerische Vokalistin, 1962 im Oberwallis
geboren, aufgewachsen in San Francisco, als Teenagerin in
die Schweiz zurück gegangen, hat nach ihrer Gesangs-
und Schauspielausbildung in Paris an vielen musikalisch-theatralischen
Projekten in Europa und Amerika teilgenommen.
In
Princess streift sie sich Andersens und Grimms Märchen-Kleider
über und entzieht sich mit ihrer Musik allen eindeutigen
Zuordnungen, obwohl sie eindeutig wiedererkennbar ist: Denn
sie arbeitet mit einer radikal einfachen Methode. Sie ist
Minimalistin, eine Kammermusikerin, die sich mit einem ungewöhnlichen
Klangbild umgibt. Sie wird von zwei Blasinstrumenten begleitet,
die weder im Jazz noch in der Pop-Musik eine Hauptrolle spielen,
Basstuba und Posaune.
In
diesem Trio - gelegentlich ergänzt vom Blechseptett Mnozil
Brass um den Trompeter Thomas Gansch, der einige suggestiv
lyrische Soli beisteuert - bekennt sich die Jazz-Sängerin
zu ihren Lieblingen aus der Königs-Klasse der Pop-Musik.
Neben Prince und Michael Jackson singt sie Songs von Kurt
Cobain, Freddy Mercury und Elvis Presley. Sie covert sie nicht,
sie entkleidet sie von allem pompösen Beiwerk, sie entfernt
den musikalischen Glamour, sie reduziert sie auf ihren Kern.
Um im Märchen-Bild zu bleiben: Sie entdeckt in den Fröschen
die Königskinder wieder.
"Queen
Mom" heißt ihr Schlusstitel, eine von mehreren
Eigenkompositionen, in der düster-elegische Töne
mit Ironie und Witz gebrochen werden. "I most definately
have a heart for losers" singt sie da, und in diesem
Licht scheinen die von ihr umarmten Könige des Pop ihre
gefallenen, verlorenen oder vergessenen Söhne zu sein.
Sie selber sagt: "Ich mag die bösen Buben des Rock".
Es
ist unglaublich, wie viel Power Erika Stucky in knappen dreieinhalb
Minuten aus Michael Jacksons Welthit "Bad" herausholt.
Der abgenudelte Popsong funkelt wie neu. Stuckys dunkle, warme
und erotische Stimme gibt ihm Herz und Seele zurück,
und die Bläser Jon Sass (Bass-Tuba) und Bertl Mütter
(Posaune, Euphonium) lassen den bekannten Riff dank der ebenso
sparsamen wie schrägen Besetzung heftig grooven.
Die
weisse Sängerin collagiert den Song des "ersten
schwarzen Künstlers außerhalb des Jazz, der zum
globalen Idol jenseits aller Rassenschranken aufsteigen konnte"
(Rock-Lexikon), mit der Erinnerung an einen anderen farbigen
König: Ein Sportreporter spricht von Mohammed Alis Boxkampf
in Afrika, unter den Song "Bad" mischen sich die
"Ali-Ali"-Rufe. Warum? Der Zeitung JAZZTHETIK erzählt
Erika Stucky: "Ich bin in San Francisco aufgewachsen,
und das waren meine ersten Bilder von Ali im Fernsehen: "I´m
bad, I´m so baaaad, I´m the greatest - als Kinder
haben wir das immer nachgeäfft. Und dann kam dieser Michael
Jackson mit seinem Song und ich habe ihm kein Wort geglaubt.
Für mich war ganz klar, dass ich die beiden Dinge verknüpfen
muss. Ich wollte "Bad" singen, Jackson war der King
of Pop, er passte also in mein Konzept -, aber da musste Ali
rein, denn the real bad guy is Cassius Clay."
Revitalisierung
durch Verfremdung und Vereinfachung heisst das Konzept von
Erika Stucky. Das ist nicht nur verblüffend originell,
es geht musikalisch überzeugend auf. Aus dem strahlend-pompösen
Gruppengesang des ersten Queen-Hits "Killer-Queen"
macht sie die düstere Adagio-Arie einer exzentrischen
Diva, während sie in Presleys "Jailhouse Rock"
das Tempo anzieht und sich in eine kindlich kreischende Rock-Göre
verwandelt. "Sometimes it snows in april" von Prince
glänzt im Licht dieses Trios als eine wunderbar getragene
Ballade, deren Schönheit vor dem Vergessen gerettet wird.
In Kurt Cobains posthum veröffentlichtem "You know
you´re right" zerdehnt und zerkaut Erika Stucky
den Refrain so, als wolle sie lauthals ihr Fragezeichen hinter
der Titelzeile hörbar machen.
Immer geht es um den musikalischen Kern, um Transparenz und
Reduktion. Ihre eigenen Songs mischen Sentiment und Pathos
mit ironischen Zwischentönen und makabren Bildern. In
"Die like a hero" empfiehlt sie ihrem nicht genannten
Helden statt der möglichen Flucht einen 100-jährigen
Tiefschlaf, bei dem sie ihn bewachen würde. In ihrem
Eingangslied "Fearless" ist sie das Mädchen
mit den kurzen Fingernägeln, die Sängerin mit den
kalten Füssen und endlich die furchtlose Amazone, der
niemand etwas antun kann, denn sie ist "winterproof like
a good new shoe" und: "My Aura is made of Gold."
Erika
Stucky ist eine Märchenerzählerin, ein Clown, eine
Prinzessin auf der Erbse und eine Domina, die energisch zupacken
kann, vor allem ist sie eine königliche Sängerin,
die im Crossover aus Pop und Jazz ihre eigene Form gefunden
und ein herzzerreißend schönes Album gemacht hat.
©
Hans Happel, 29. Mai 2005