Raï
ist die maghrebinische Variante des Pop. Er wurzelt in der traditionellen
arabischen Musik, aber auch im Reggae und in der Musik Westafrikas,
wie sie u.a. von Youssou N'dour oder Salif Keita bekannt gemacht wurde.
Rai geht in die Beine, ist extrem tanzbar, arabisches Lebensgefühl
pur, aber nicht nur bei seinem berühmtesten Vertreter Khaled
ein Politikum.
In
Algerien selbst hat Khaled wie viele seiner Kollegen Auftrittsverbot.
"Raï" ist für viele algerische Jugendliche Ausdruck
des Aufgebehrens gegen erstarrte Konventionen, politische Gängelung
und wirtschaftlichen Niedergang - und aus diesen Gründen sowohl
politischen als auch religiösen Fundamentalisten ein Dorn im
Auge.
Der
Raï entstand ursprünglich in der algerischen Hafenstadt
Oran. Auswanderer und Flüchtlinge brachten ihn nach Frankreich. Und
weil Musik aus aller Welt in Paris traditionell schon immer mit offeneren
Ohren aufgenommen wird als anderenorts, fanden die Stars des Rai wie
Khaled oder auch Cheb Mami dort bald, und nicht nur bei der arabischen
Minderheit, eine neue Heimat.
Angesichts
der schwierigen politischen Verhältnisse in den meisten Maghreb-Staaten
gilt heute Paris als Hauptstadt des Rai.
Es
war ein Gipfeltreffen, als am 26. September 1998 in Paris drei der
berühmtesten Vertreter des arabischen Pop zu einem gemeinsamen Konzert
zusammenkamen: RACHID TAHA, FAUDEL und KHALED sind in etwa das Raï-Äquivalent
zu den "drei Tenören".
Entsprechend
opulent die Ausstattung ihres Auftritts: zwei Streichorchester, eines
aus Frankreich, das zweite aus Ägypten, und zusätzlich noch eine aus
fast zwanzig Musikern bestehende Band mit allen nur denkbaren Instrumenten
aus Okzident und Orient. 1, 2, 3 SOLEIL, so der Titel des CD-Mitschnitts,
dokumentiert deshalb auch ein Gipfeltreffen europäischer und arabischer
Kultur und zeigt beispielhaft, wie man sich gegenseitig von Nutzen
sein kann.
Die
CD bietet einen grandiosen Einblick in das Schaffen von Faudel, Rachid
Taha und natürlich von Khaled. Dessen auch bei uns erfolgreichen
Hits "Didi", "Aïcha" und "N'ssi N'ssi" sind auf 1, 2, 3 SOLEILS ebenso
vertreten wie die Erfolge von Rachid Taha und Faudel, allesamt auf
mitreißende Art und Weise für das Konzert arrangiert, instrumentiert
und vorgetragen.
Die
Stimmung, die am Auftrittsabend in Paris-Bercy geherrscht haben muss,
wird, was Live-Aufnahmen selten genug gelingt, mit jedem Titel greifbar.
Man meint zu hören, wie ein völlig aus dem Häuschen
geratenes Publikum seine Idole mit jedem Stück zu weiteren Höchstleistungen
treibt. Laut stellen und mitfeiern !
In
Deutschland wurde 1, 2, 3 SOLEILS mit dem Preis der Schallplattenkritik
ausgezeichnet. In Frankreich ist das Album sowieso ein Riesenerfolg
und dort nicht nur als CD und Kassette, sondern auch auf VHS und DVD
erschienen. Wenn Ihnen der Import zu umständlich ist, dann achten
Sie aber darauf, dass in Deutschland zwei unterschiedliche Versionen
der CD zu haben sind: eine "abgespeckte" Version mit 13 Titeln, aber
auch eine Doppel-CD mit insgesamt 23 Liedern. Und wenn schon feiern,
dann aber richtig & doppelt !
©
Michael Frost / 23. September 2000