Normalerweise
würdigen die Schweden Bands aus dem übrigen Skandinavien
keines Blickes. Beklagen jedenfalls die Norweger und Dänen. Selbst
Kultbands wie Kaizers Orchestra (Norwegen) können von der Ignoranz
ihrer Nachbarn ein Lied singen.
Also
muss etwas besonderes passiert sein, wenn ein schwedischer Musikkritiker
eine Band aus Dänemark (!) lobt. Entsprechend kommt es einer
Revolution gleich, wenn das Stockholmer "Sonic Magazine"
befindet, Under Byen aus Århus (in Dänemark!) sei eine
der "besten und interessantesten Bands der Welt". Sogar
auf Schwedens größter Festivalbühne in Hultsfred wurde
den Dänen im Juni 2006 ein Platz angeboten.
Das
dänische Publikum jedenfalls weiß längst um die Ausnahmestellung
von Under Byen. Deshalb durfte die Band im August als heimischer Act
bei einer Konzertshow im Kopenhagener Forum auftreten, gemeinsam mit
Massive Attack und den (schwedischen!) Cardigans.
Nun
liegt es wieder an den Deutschen, die Nachbarn aus dem Norden zu würdigen.
Nach einem Live-Mitschnitt vom Haldern-Festival und dem Studioalbum
"Det er mig der holder træerne sammen" kommt nun nämlich
auch das neue Album der Dänen in die deutschen Plattenläden.
Man darf schon mal die Aussprache üben, denn Under Byen verweigern
sich weiterhin standhaft der englischen Sprache. "Samme stof
som stof" heißt die CD, was so viel bedeutet wie "Das
gleiche Zeug wie Zeug", und nach allgemeiner Kritikereinschätzung
in Dänemark (und Schweden!) ist es das beste Album, das die Band
bisher veröffentlicht hat.
Henriette
Sennenvaldt (Vergleiche ihrer Stimme mit Björk sind überstrapaziert
und werden an dieser Stelle deshalb nicht mehr bemüht) erzählt
mit überwiegend geschlossenen Augen und in sich versunkenem Säuseln
Seltsames ("Einsamkeit war die stärkste Beziehung, die
ich hatte ..."). Oder aber sie nennt die Dinge einfach beim
Namen : "Den her sang handler om at få det bedste ud af
det" heißt ein Song. Übersetzung gefällig: "Dieses
Lied handelt davon, aus allem das Beste zu machen". Nun,
bei der Arbeit an dem Album ist das Ziel gelungen.
Kontrastiert
wird Sennenvaldts introvertierter Sirenengesang von einem lautstarken
Set aus zwei Schlagzeugen (Stine Sørensen, Morten Larsen),
die bereits zum Albumbeginn keinen Stein auf dem anderen lassen, Cello
(Morten Svenstrup), Bass (Sara Saxild), Klavier (Thorbjørn
Krogshede) Geige und singender Säge (Nils Gröndahl). Für
weitere Instrumente steht Anders Stochholm parat und komplettiert
Under Byen als Oktett. In Konzerten münden ihre Songs gerne in
undurchdringliche, oft zehnminütige Klanggewitter, doch im Studio
gehen Under Byen es ruhiger an. Mit viel Gefühl für die
Wirkung des einzelnen Instruments im Wechselspiel mit dem Gesang kreieren
sie eine dichte, manchmal beänstigende, unwirtliche und schroffe
Atmosphäre, die das Sprachverständnis ersetzen kann.
Für
den nicht-dänisch sprechenden Hörer kommen die unverständlichen
Texte quasi als zusätzliches Element der Verfremdung hinzu, doch
auch für Dänen ist die bizarre Bildsprache von Henriette
Sennenvaldt nicht zu verstehen, wie das Kopenhagener Musikmagazin
Gaffa unlängst bekannte.
Under
Byen wollen keine gemütlichen Klanglandschaften erzeugen, sondern
das Blut in Wallung versetzen, sie verwirren, verzaubern, verwünschen
und versöhnen - in kaum berechenbarer Reihenfolge. Und sind damit
inzwischen international erfolgreich - längst nicht nur in Schweden.
©
Michael Frost, 20. Oktober 2006