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Akustischer Kubismus
von Hans Happel


Tom Waits und Kathleen Brennan, seine Lebensgefährtin und musikalische Partnerin, wollen das Unmögliche schaffen, die Quadratur des Kreises. Sie wollen mit den von ihnen geschriebenen und produzierten 15 Tracks des neuen Albums REAL GONE den RocknBlues neu erfinden, sie wollen etwas etwas Ehrliches, Echtes, Tiefschwarzes, Schlichtes, Einfaches aus der Musik herausholen, indem sie sie hochkünstlich beatmen:

"Real Gone" klingt - "wirklich abgefahren" - nach Garagensound der frühen Jahre, nach Schülerband und selbstgebastelten Instrumenten, wo die Trompetentröte aus dem Kaufmannsladen von nebenan zu kommen scheint, wo neben Bass und Gitarre die Stimme als wichtigstes Percussioninstrument eingesetzt wird: Eine schnaufende Rhythmusmaschine, scheppernde, verzerrte Klangfarben, übersteuerte Mikros, das alles wirkt so improvisiert, klingt so roh und ungehobelt, als wolle der Brecht- und Kurt-Weill-Schüler (wider Willen) sich von den geschliffenen Theatermusiken der letzten Jahre (zuletzt "Alice"/"Blood Money") verabschieden.

Nein, tut er natürlich nicht. Der "Gassenpoet" - so nennt ihn Rolling Stone - bleibt sich treu. Er ist ein Storyteller, der seine morbiden makabren bittersüßen Geschichten weiterhin aus der Nacht der schwarzen Romantik bezieht. Er erzählt vom stets gefährdeten Leben "sweet as the edge of a razor". Da gibt es das Mädchen, das sich verabschiedet mit einem in den Schmutz der Motorhaube geschriebenen Goodbye und der verlorene Mann weint ihr hinterher (HOW´S IT GONNA END). Tom Waits nuschelt, nölt und krächzt, als wolle er den Mund am liebsten gar nicht mehr öffnen.

"Life´s made of trouble/ Worry pain and struggle" grummelt er mit seiner dunkelsten Stimme und lässt die Leiche des Mädchens "like a hammer into the lake" versinken. Es ist wie immer Nacht bei Tom Waits und Endzeitstimmung, das middle-class-girl in DEAD AND LOVELY schmeißt sich ihrem Mörder (mit dem "bullet proof smile") in die Arme, und im längsten Song des neuen Albums betet der Sänger zehneinhalb Minuten lang seinen Herrgott an, dem er verspricht die Sünden von Vater, Mutter und Bruder auf sich zu nehmen und sie so lange zu waschen, bis das Wasser wieder sauber ist.

SINS OF THE FATHER ist ein politisch gefärbter Gospel-Song, ein gemächlich klapperndes Banjo (Harry Cody) und ein schreitender Bass (Larry Taylor) prägen das Klangbild nicht nur hier. Daneben gibt es die Gitarre mit schönen klassischen Rock-Soli (Marc Ribot), die Turntables bedient Sohn Casey, die Voice-Percussion hat Vater Tom in der eigenen Wohnung aufgenommen. Waits musikalische Arte Povera klingt wie Musik aus der Mülltonne. Er verzichtet diesmal auf seine Lieblingsinstrumente Klavier und Akkordeon.

In "primary colours" habe er arbeiten wollen, so wird Waits im Presseinfo zitiert, denn: "I was looking for the absence of sound." Seine Musik solle so schlicht wie "bread and water" sein. Das gelingt ihm tatsächlich: Umso einfacher er wird, umso ergreifender. Am Schluß des Albums steht programmatisch ein Antikriegslied: In DAY AFTER TOMORROW schreibt ein im Irak stationierter amerikanischer Soldat an seine Geliebte. Es wird an diesem Tag 21 Jahre alt, er bittet Gott um die Chance zurückzukehren, er hat den Glauben an irgendwelche Ideale verloren, "I´m not fighting for justice/ I´m not fighting for freedom/I´m fighting for my life and/ Another day in the world here/ I just do what I´ve been told/ We´re just the gravel on the road/ And only the lucky ones come home…"

Tom Waits hat einen klassischen Folk-Song geschrieben in der Tradition von Woody Guthrie und Bob Dylan, einen Song, mit dem er sich zum Sprecher, nein, zum Sänger einer Bewegung macht, der sich ein Großteil der amerikanischen Künstler angeschlossen hat. Dass Musik ins Leben zurückführt, zeigt Waits auf diesem Album auch in seinem rhythmischen Gefüge, dessen Grundlage die angeblich im Badezimmer aufgenommene Vokal-Percussion ist. Ob im sprachverspielten SHAKE IT (BABY) oder in METROPOLITAN GLIDE, die lauten heftigen und irgendwie schmutzigen Rhythmen mixen Funk und R&B mit afrokubanischen Einflüssen.

Tom Waits sagt zu REAL GONE, es sei "an alchemical universe of rattling chains, oscillating rhythms and nine-pound hammers". Das Ergebnis charakterisert der Meister der Selbststilisierung mit einem unverschämt großen Wort: "cubist funk". In diesen akustischen Kubismus wird man sich langsam einhören und irgendwann, wenn niemand im Hause ist, muß man ihn auf volle Lautstärke drehen.

Dann fliegen einem die verzerrten Rhythmen um den Kopf, und der leise Klagegesang des jungen Soldaten, für die beiden Söhne von Waits und Brennan geschrieben, geht umso stärker unter die Haut. Tom Waits will - sehr hörbar - auf keinen Fall ein Klassiker werden, aber er ist es längst und mit diesem Song hat er sich in die lange amerikanische Geschichte des musikalischen Protests eingeschrieben.


© Hans Happel, 05.10.2004

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