Die
"goldenen Zwanziger" waren eine Illusion. Die wenigen besser
Betuchten vergnügten sich in Tanz-Salons und Revue-Theatern, während
die Bevölkerungsmehrheit unter Massenarbeitslosigkeit und Armut
litt. Ein idealer Nährboden für politischen Extremismus, wie
man heute weiß, der die Kreativität und Freizügigkeit
der kulturellen Szene Europas 1933 ein jähes Ende setzte.
Nach
der Befreiung vom nationalsozialistischen Terror geriet die Ästhetik
der 20er Jahre erst mal in Vergessenheit, sie wurden von den neuen,
aus Amerika kommenden Strömungen verdrängt: Swing, Bebop,
Rock'n'Roll - oder auch "verkitschte Heimatromantik" (Waldeck).
Doch
inzwischen wächst das Interesse für die Zeit zwischen den
Weltkriegen wieder, und auf ganz unterschiedliche Weise machen sich
musikalische Cabarets, Orchester und Musiker auf Spurensuche. Ein
besonders interessantes Album kommt dieser Tage aus Österreich:
Interessant deshalb, weil Klaus Waldeck mit seinen "Ballroom
stories" nicht versucht, einen vergangenen Sound zu konservieren,
sondern die "Grammophon-Ästhetik" der Vorkriegszeit
mit modernen Mitteln nachzuempfinden. "Ich versuche", sagt
Waldeck, "dort anzuschließen, wo wir ohne den kulturellen
Kahlschlag stünden."
Erstaunlicherweise
gelingt ihm diese Atmosphäre mit einer schwülen Mischung
aus Dub, Lounge, Downbeat- und Triphop-Elementen, Klarinette, Klavier,
und einer hellen, zurückgenommenen Frauenstimme, die bewusst
im koketten Betty-Boop-Stil singt. Die schöne Stimme, die bisweilen
an Angela McCluskey (Télépopmusik)
erinnert, gehört der Voralbergerin Zeebee.
Eine
wilde Charleston-Orgie werden uns die "Ballroom Stories"
sicher nicht bescheren, und das wollen sie wohl auch gar nicht. Der
zurückhaltende Grundton, Coolness und Lässigkeit des Sounds
sind eher für die heutigen Entsprechungen der Salons geeignet:
Lounge-Bars mit gedämpftem Licht und relaxter Atmosphäre,
Cafés und das heimische Wohnzimmer. Wenigstens dort darf die
Frau des Hauses dann noch mal zur Zigarettenspitze greifen - in der
Öffentlichkeit verhindert dies das Anti-Raucher-Gesetz.
©
Michael Frost, 15.09.2007