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Glaubwürdig
und eigenwillig

 

Wie so viele - Musiker und Fans gleichermaßen - ist Nikko Weidemann geprägt von der Unmöglichkeit, in deutscher Sprache zu singen. "Angeführt von Dieter Thomas Heck hat es (...) die deutsche Popindustrie mit der Brechstange geschafft, Imitate zu kreieren, die in der ZDF-Hitparade auftraten und den Aufbruch zur Travestie machten." Der Aufbruch, das ist für ihn die Zeit der Neuen Deutschen Welle, die sich zu Beginn der 80er Jahre zunächst gegen den Mainstream etablierte - um schließlich in der beschriebenen Weise zuerst aufgesogen und schließlich beerdigt zu werden.

Die Totengräber von einst touren heute noch durch unverwüstliche Revival-Shows, während die Pioniere der NDW schließlich ganz unterschiedliche Wege gingen. Annette Humpe (Ideal) beispielsweise wurde eine der erfolgreichsten Pop-Produzenten überhaupt, Schwester Inga lebt heute recht kommod in der 2Raumwohnung. Stephan Eicher (Grauzone) wurde im französischen Sprachraum als Rock-Poet zum Megastar, einzig Nena durchlief keine erkennbaren Metamorphosen und ist trotzdem erfolgreicher denn je. Andere wie Nikko Weidemann, dessen Name vor allem deshalb weithin unbekannt ist, weil er sich in den letzten dreißig Jahren hinter allen möglichen Bandnamen versteckte, findet erst jetzt zur deutschen Sprache zurück.

Sein langes Zögern mag auch damit zusammenhängen, dass man als deutschsprachiger Sänger auch in der Nach-Hitparaden-Ära noch unter permanentem Schlagerverdacht steht und somit jederzeit von der Sprachpolizei gevierteilt werden kann. Und so kam es bereits vor der Veröffentlichung von "Schöne Schmerzen", wie es kommen musste: Trotz einer insgesamt wohlwollenden Beurteilung konnte sich der Rezensent der "taz" den Hinweis auf den einen oder anderen Knödelreim Weidemanns nicht verkneifen. Und der im selben Artikel nachgelegte Vergleich mit Wolf Maahn gilt in der Szene sowieso als K.O.-Schlag (tödlicher könnte nur noch der Hinweis auf Heinz Rudolf Kunze sein).

Doch man kann das alles freilich auch ganz anders sehen. Zum Beispiel kann man Nikko Weidemann die Unverkrampftheit zugute halten, mit der er seine Songs formuliert. Popmusik in Deutsch ist häufig derart Angst besetzt, dass man lieber gleich auf Englisch singt, doch hier formuliert jemand mit einer Geradlinigkeit, die sich auch durch die Musik zieht und deshalb einen einheitlichen Grundton findet. Nicht übertrieben intellektuell, aber genauso wenig banal oder gar in Gefahr, sich demnächst im ZDF-Fernsehgarten wiederzufinden oder mit der Goldenen Stimmgabel ausgezeichnet zu werden.

Auch bei den Arrangements bleibt Weidemann geradlinig: Gitarre, Drums und Klavier bestimmen den Sound, und er selbst, dessen Stimme weicher klingt als sein finster dreinblickendes Pressefoto verheißt, gibt sich natürlich und unverstellt - Weidemann ist auch gesanglich kein Akrobat, wirkt aber gerade deshalb glaubwürdig und im positiven Sinne eigenwillig.

Der Wegbereiter, der er in der Postpunk-Szene Berlins einst war, ist er heute freilich nicht mehr. Nach Jahren in England und Amerika und seiner Arbeit mit ganz unterschiedlichen Musikern und Bandprojekten kann Nikko Weidemann heute mit seinem ersten deutschsprachigen Album, das unter seinem eigenen Namen erscheint, den Weg beschreiten, den eine jüngere Generation geebnet hat. Doch die wiederum - denkt man etwa an Bands wie Wir Sind Helden, - knüpfen dabei ja auch gezielt und bewusst an die Neue Deutsche Welle, und damit auch an Weidemann, an. Damit markiert "Schöne Schmerzen" vielleicht das Ende einer langen Reise und die Versöhnung mit dem eigenen Werdegang.

© Michael Frost, 05.02.2010


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