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Berge versetzen
von Hans Happel

Ein Tusch auf den Tasten – ein schräger, schriller Akkord wird angerissen, ein Klangraum geöffnet, dem das Fremde und die Ferne eingeschrieben sind. Fast im gleichen Atemzug das Intime, das Innige, das ganz Nahe. (em) nennen sich die drei (Wahl-)Berliner, als hätten sie eine mathematische Formel für ihre Musik gefunden: Der Pianist Michael Wollny, die Bassistin Eva Kruse, der Drummer Eric Schäfer haben ihr drittes Album veröffentlicht, mit dem sie zeigen, dass sie noch immer Berge versetzen.

Denn mit ihrer Musik zwischen Improvisation und fester Satztechnik, zwischen Jazz und zeitgenössischer Tonkunst heben sie die Grenzen zwischen den Gattungen auf. Ihre feinen, kleinteiligen und vielfältigen Klanggewebe scheinen sich strengen Gesetzen zu entziehen. Die drei Musiker legen Spuren aus, die über die Romantik bis zu Bach zurückreichen, gleichzeitig arbeiten sie mit rhythmischen und melodischen Patterns, die sie als Gegenwartszeugen ausweisen, um jedes rhythmische Korsett doch im nächsten Augenblick aufzulösen. Wo stehen sie also?

Eric Schäfer lässt sich in seinem perkussiven Schlagzeug-Stil mit den beiden Triopartnern in einem gemeinsamen Fluss treiben, dessen Verlauf nicht vorhersehbar scheint und dessen Farben sich permanent ändern. Der Drummer hat 7 der 13 Stücke komponiert, er lässt dem Pianisten im mittleren „Nocturne“ die Freiheit, über ein kurzes mehrfach wiederholtes Thema so zu improvisieren, dass die Unterschiede zwischen fester Figur und Variation kaum zu erkennen sind.

Dem setzt Michael Wollny in „Kiyoshi“ schwere, lang gehaltene Akkorde entgegen, die vom Atmosphärischen leben, vom dunkel Düsteren. Bassistin Eva Kruse wiederum knüpft in dem Titel „Lautloser Adel“ mit seinem strengen und hellen Eingangsmotiv an barocke Fugenkunst an, die der Pianist allmählich auflöst, begleitet von einem groovenden Drummer, der Wollny ins heftige Improvisieren treibt, bis schließlich Bass und Piano unisono zum Anfangsmotiv zurückkehren in einem jener Ostinati, die im Ohr noch hängen bleiben, wenn das allerletzte Pianissimo schon verklungen ist.

Es sind diese wiederkehrenden Momente großer Schönheit und Ruhe, die die Musik des Trios akzentuieren. 13 Stücke, mindestens ebenso viele Verwandlungen, aber mit einer gemeinsamen Grundierung: Bei aller Verschiedenartigkeit, die die drei Musiker für sich reklamieren - „wir waren noch nie so weit auseinander wie jetzt“, betont Eric Schaefer im Pressetext und spricht damit auch für die anderen – eint sie die Reflexivität ihres Spiels, die Weichheit, die Eleganz, die Durchsichtigkeit und der kunstvolle Umgang mit Elementen romantischer bis barocker Musik.

Auf dem Innen-Cover warten sie mit einem Zitat aus Dantes „Göttlicher Komödie“ auf, mit Versen aus der „Hölle“, die sie sich im hymnischen Tonfall Stefan Georges übersetzen lassen: „nun angelangt an eines hügels grunde - // .....sah ich hinauf und schaute auf dem kamme // die strahlen schon sich breiten des planeten // der uns zum ziele führt auf jedem damme.“

Darin liegt Komik wie Zauber: diese Musiker sehen sich als Romantiker – ein Foto zeigt sie im Herbstlaub am Rande eines Hügels, malerisch gestellt und gelagert, die Männer in langem Schwarz, die Frau im weißen Kapuzenshirt - aus diesem Changieren zwischen Aufbruch und Tradition, zwischen Moderne und Vormoderne, zwischen Fragment und großer Linie, setzt sich ihre Musik zusammen, dabei finden sie zu einer unverkennbar eigenen Form, und dafür steht ihr Name, als wäre es der Schlüssel zu einer geheimnisvollen Welt-(Musik-) Formel.

© Hans Happel, 03. Februar 2008

 


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