"Nimm 
          hin mein Lied - es ist nicht froh. Der Regen weint und weint." 
          Selma Meerbaum-Eisinger schrieb diese Zeilen im Juni 1941. Damals war 
          sie siebzehn Jahre alt, und sie lebte im rumänischen Czernowitz. 
          Keine zwei Jahre später, im Dezember 1942, starb sie im deutschen 
          Arbeitslager Michailowska. Damit wurde sie zu einem von ingesamt sechs 
          Millionen jüdischen Opfern der deutschen Terrorherrschaft in Europa. 
           
          Was 
            von ihr blieb, sind 57 Gedichte, in denen die junge Selma von ihrer 
            ersten Liebe spricht, von ihren Ängsten, Hoffnungen, Träumen 
            und Sehnsüchten, oft mit der blumigen Poesie der Heranwachsenden, 
            doch liest man ihre Zeilen wieder und wieder, dann entwickelt ihre 
            Sprache ein Eigenleben und lässt darin eine ungeahnte Reife offenbar 
            werden: "so rein, so schön, so hell, so bedroht", schrieb 
            Hilde Domin, und: "Es ist eine Lyrik, die man weinend vor Aufregung 
            liest."
          Nachdem 
            1968 erstmals eines der Gedichte von Selma Meerbaum-Eisingers in der 
            DDR veröffentlicht worden waren, war es ihr früherer Deutschlehrer, 
            der sich auf die Suche nach ihrem verschollenen Gedichtband machte 
            und diesen später mit einer Auflage von 400 selbst gedruckten 
            Exemplaren herausbrachte. Erst 1985 fand sich ein Verlag, der Selmas 
            Gedichte unter dem Titel "Ich bin in Sehnsucht eingehüllt" 
            veröffentlichte. 
          Seither 
            sind weitere zwanzig Jahre vergangen. Herman van Veen entdeckte die 
            Gedichtsammlung und verarbeitete sie in einem musikalischen Märchen, 
            das er im Aufrtrag der Essener Philharmonie entwickelte: "Windekind". 
            Doch die Genehmigung zur Vertonung der Gedichte erhielten fünf 
            Schweizer: David Klein, Oliver Truan, Ariel Zuckermann, Michael Heitzler 
            und Daniel Fricker, die gemeinsam das "World Quintet" bilden. 
            Sie baten Herbert Grönemeyer, Selmas Gedicht "Trauer" 
            einzusingen. Von dem Ergebnis waren sie so beeindruckt, dass sie beschlossen, 
            auch mit anderen Künstlern zusammenzuarbeiten. 
          Nun 
            ging es den fünf Instrumentalisten um eine ganze CD mit Selma 
            Meerbaum-Eisingers Gedichten: "Dass die hoch begabte, lebenshungrige 
            Selma einfach umgebracht wurde und nur wenige erfahren, dass sie gelebt, 
            geliebt, gelacht und Gedichte von berückender Schönheit 
            geschrieben hat, konnten und wollten wir nicht akzeptieren."
          Unterstützung 
            fand das Quintett bei einigen der bekanntesten Namen der deutschen 
            Popszene. Reinhard Mey, Sarah Connor, Xavier Naidoo, Inga Humpe, Thomas 
            D und Ute Lemper stehen nur stellvertretend für die große 
            Bandbreite der Beteiligten, die jeweils mit einem Gedicht von Selma 
            Meerbaum-Eisinger auf der CD "In Sehnsucht eingehüllt" 
            zu hören sind. 
          Das 
            world Quintet fand für jedes Gedicht ein stimmiges Arrangement. 
            Manchmal ist es nur ein Klavier, das den Gesang im Stil einer klassischen 
            Ballade begleitet ("Abend I"), in "Ich bin die Nacht" 
            hört man indische Tablas und eine Sitar, dann wieder imitiert 
            ein ganzes Orchester (Sinfonieorchester Basel, dirigiert von Ariel 
            Zuckermann) den ersten wärmenden Luftzug des Frühjahres 
            ("Frühling" mit Inga Humpe): "Ein Mantel, welcher 
            offen weht, ein dünnes Kleid, das wie ein Lachen steht ..."
          Alle 
            Gedichte wurden von den Musikern des World Quintet mit größtmöglicher 
            Behutsamkeit komponiert und arrangiert. Nichts, keine Note, kein Ton, 
            sollte die Texte in den Hintergrund drängen. Im Gegenteil: Der 
            Focus sollte ausschließlich auf die lyrische Kraft der Gedichte 
            gelenkt werden. Daran halten sich auch die beteiligten Sängerinnen 
            und Sänger: Auch sie halten sich bescheiden im Hintergrund und 
            stellen sich ganz in den Dienst der Sache. 
          Deshalb 
            ist es womöglich ein wenig unfair, die Qualität der Vorträge 
            bewerten zu wollen. Aber die Unterschiede sind augenfällig: Zeigt 
            sich doch die Eindimensionalität des Ausdrucks von Yvonne Catterfeld 
            und Sarah Connor - im Gegensatz zu den herausragenden Beiträgen 
            von Joy Denalane, Thomas D., Xavier Naidoo, Jasmin Tabatabai und Ute 
            Lemper, die sich der Gedichte völlig frei von Kitsch und Pathos 
            annehmen und die Worte für sich sprechen lassen: "Lange 
            Schatten fallen auf den hellen Weg und die Sonne schickt noch letzte 
            Abschiedswärme ... fast möchte man die welken Blätter 
            schelten, dass sie rascheln und die letzten Sonnenstrahlen stören 
            ..."
          © 
            Michael Frost, 14.04.2006
            Update: 02.11.2007
          Hinweis: 
            Nach der Erstveröffentlichung durch Just Records Babelsberg im 
            Frühjahr 2006 wird "Selma - In Sehnsucht eingehüllt" 
            im Herbst 2007 erneut veröffentlicht, diesmal bei SonyBMG.
          Am 
            04. November 2007 um 23 Uhr 30 strahlt der TV-Sender RBB das Selma-Konzert 
            aus, welches das World Quintet anlässlich der Jüdischen 
            Kulturtage am 08. September in Berlin gab. Ab dem 05.11. ist das Konzert 
            im Internet abrufbar: www.rbb-online.de/selma