Eigentlich 
          war dieses Album nur eine Frage der Zeit. In den Jahren als Frontmann 
          von Radiohead wuchs Thom Yorke zum Über-Musiker, zu einem der charismatischsten 
          und innovativsten Köpfe der britischen Musikszene. Gestartet war 
          die Band im Gefolge der Britpop-Welle, verabschiedete sich jedoch alsbald 
          aus der Retro-Schiene und auch allen anderen ausgetretenen Pfaden. Mit 
          'Ok Computer' und mehr noch mit 'Kid A' drohte die E-Gitarre Moos anzusetzen, 
          denn Thom Yorke hatte die digitale Klangwelt für sich entdeckt, 
          und fortan machte Radiohead Rockmusik ohne Gitarre, und zunehmend auch 
          ohne Rock.  
          Bleibt 
            nur noch die Musik. Und auf seinem Solodebüt "The Eraser" 
            stellt Yorke nunmehr auch deren Gesetzesmäßigkeiten auf 
            den Prüfstand. Nur das verletzte Klagen seiner Stimme ist geblieben, 
            und auf "The eraser" dient sie vor allem der Beschwörung 
            des dramatischen Szenarios, das Yorke - ganz Konzeptkünstler 
            - in Bild, Ton und Wort zeichnet.
          Zur 
            eigentlichen CD muss man sich - symbolisch für ihren Inhalt - 
            vorarbeiten. Bild um Bild, Schicht um Schicht eröffnet sich der 
            Blick auf eine untergehende Welt: London wird von Tsunamiwellen, Wolkenbrüchen 
            und lodernden Flammen gleichermaßen bedroht. "Time is running 
            out for us" ist eine der wenigen auf Anhieb zu verstehenden Textzeilen. 
            Weitere bleiben kryptisch, rätselhaft, wie die gesamte verschachtelte, 
            unwirtliche Aufmachung des Albums. 
          Selbst 
            die Orffschen Klanghölzer wirken fremd in dieser entfremdeten 
            Welt, in der nichts ist, was es zu sein scheint. Nur Thom Yorke bewahrt 
            noch den Überblick und inszeniert seine Visionen in reduzierten, 
            bisweilen minimalistischen Klängen, gegenläufigen Rhythmen 
            und (Dis-)Harmonien, digitalen Spielereien und klaustrophoben Arrangements.
          "The 
            eraser" wird - standesgemäß - bereits als Meisterwerk 
            gefeiert. In der Tat ist es ein mutiges Album, mit dem Thom Yorke 
            die Grenzen seiner Möglichkeiten auslotet. Das "Radiohead"-Kapitel 
            sei damit keineswegs abgeschlossen, hat er immer wieder betont. Doch 
            ohne die Rücksichtnahme auf seine Bandkollegen kann Yorke sich 
            noch weiter entfalten, seine Gefühlswelt noch radikaler konstruieren 
            und seine Ausdrucksmöglichkeiten zuspitzen. "The eraser" 
            ist ein Album für den Kopf-Hörer, aber keineswegs "Verkopft", 
            wie gelegentlich zu lesen ist, wurde "The eraser" dennoch 
            nicht, eher eine Sammlung aufwallender Gefühle: Angst, Zorn, 
            Trauer und Aufbegehren sind darauf zu hören. Und selbst wenn: 
            Was spricht eigentlich dagegen, mit dem Kopf zu hören?
          © 
            Michael Frost, 13.08.2006