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Annäherung
an ein Phantom


Manche Künstler begleiten einen ein Leben lang. Manchmal sind es solche, die man gar nicht bewusst wahrnimmt. Sie sind ständig da, tauchen an verschiedenen Stellen immer wieder auf, und irgendwann, vielleicht erst nach vielen Jahren, kreuzt ein Song den Lebensweg des Hörers, und dann passiert es doch. Also beginnt die Spurensuche: Wer genau ist denn dieser Musiker nun?

In diesem Fall ist die (sehr persönliche (Vor)Rede von Elvis Costello, der im übernächsten Jahr sein dreißigjähriges Plattenjubiläum feiert ("my aim is true", 1977). Wann ich erstmals einen Song von ihm hörte? Ich weiß es nicht. Und dabei, weiß die Internet-Enzyklopädie "Wikipedia", zählt Costello "heute zu den renommierten Songwritern und Künstlern der internationalen Musikszene" - mit einer Einschränkung: "wirklichen Rockstar-Status" habe Costello nicht genießen können, selbst nicht zu der Zeit, als er zur "linkischen New Wave-Ausgabe von Buddy Holly" (wiederum Wikipedia) aufstieg.

Vielleicht waren es die zahlreichen künstlerischen Häutungen, die es erschwerten, seinen Karriereweg aufmerksamer zu verfolgen. Denn der "New Wave" mochte ihn nicht lange fesseln. Costello widmete sich den Motown-Klassikern, arbeitete mit der Jazz-Legende Chet Baker, der Ska-Band "The Specials", Anne Sofie von Otter, dem Brodsky Quartet, Burt Bacharach und der irischen Punk-Folk-Band "The Pogues", deren Bassistin Cait O'Riordan seine Ehefrau wurde. Die spätere Trennung, so heißt es, verarbeitete er auf dem Album "North": "Vielleicht ist dies das Liebeslied, das ich für sie nicht schreiben wollte, als ich sie noch liebte" ("When it sings").

Tatsächlich ist "North" das Album, mit dem Elvis Costello den Weg des Rezensenten kreuzte. Ab jetzt gab es keinen Weg mehr, der an ihm vorbei führte, doch ganz gleich, welchem seiner früheren Alben ich nachspürte: keins war wie das andere, Elvis Costello erscheint retrospektiv als multiple Persönlichkeit, wandlungsfähig wie ein Chamäleon, aber nicht aus Gründen der Anpassung, sondern eher, um die eigenen Grenzen auszutesten - oder zu überschreiten.

Letzteres geschah bei den Videoclips zu drei Songs seines Albums "Get happy". Aufgenommen wurden sie in Südfrankreich, Innenaufnahmen entstanden in der Villa von Curd Jürgens. Nach eigenem Bekunden hatten Costello und seine Band, "The Attractions", in London Tanzunterricht genommen, und so sieht man sie vor mediterraner Kulisse am in absurden Verrenkungen am Hafen und in der Altstadt von Antibes herumspringen, sprich: "sich zum Affen machen" (Costello).

Nachzuvollziehen sind diese und weitere Skurrilitäten des beginnenden Videoclip-Zeitalters auf einer großartigen DVD-Veröffentlichung, die es vielleicht zum ersten Mal ermöglicht, dem Phantom Elvis Costello in all seiner Komplexität auf die Schliche zu kommen. "The right spectacle - The very best of Elvis Costello" enthält nicht nur sämtliche zwischen 1978 und 1994 entstandenen Clips, sondern auch einen einstündigen Zusammenschnitt von Fernseh- und Konzertauftritten. Sämtliche Aufnahmen wurden mit launig-ironischen Kommentaren von Costello untertitelt (auch in deutscher Übersetzung), in denen er nach "Storyteller"-Manier die Entstehung der Clips erklärt.

Die siebenundzwanzig Clips dokumentieren darüber hinaus die beständige Wandlung Costellos vom schrägen New Waver zum intellektuellen Songwriter (erstmals erkennbar im Clip zu "New lace sleeves"), der er heute ist. Die Wegstrecke, welche die Clip-Sammlung dokumentiert, ist dabei nur eine Etappe und bei weitem nicht vollständig. Zudem muss mit weiteren Wandlungen gerechnet werden. Aber: Wenn man Elvis Costello einmal für sich entdeckt hat, dann wird man ihn nicht mehr aus den Augen verlieren.

© Michael Frost, 01.12.2005

Die DVD "The Right Spectacle - The Very Best of Elvis Costello - The Videos" erschien bei Warner Music Vision.


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