Nur 
          der Respekt vor der Wahrheit und der Tragik ihrer ersten Lebenshälfte 
          verbietet es, den Abriss über das Leben von Dona Rosa mit "Es 
          war einmal ..." zu beginnen. Die Geschichte der Fado-Sängerin 
          gleicht einem Märchen, man traut sich deshalb kaum, sie zu erzählen. 
          Und dennoch soll es sich genau so zugetragen haben. 
          Die 
            Geschichte der Dona Rosa (eigentlich: Rosa Francelina Dias Martins) 
            beginnt mit einem Unglück. Gerade einmal vier Jahre alt, erblindet 
            die kleine Rosa nach einer Meningitis-Infektion. Ihre aus dem Norden 
            Portugals stammende Familie ist arm und verfügt deshalb kaum 
            über die Möglichkeiten, Dona Rosa die nötige Förderung 
            zukommen zu lassen. Aufgewachsen ist Dona Rosa in Lissabon, und dort 
            bleibt sich auch, als die Familie sich zur Rückkehr in den Norden 
            entschließt. 
            Ihren Lebensunterhalt verdient sie seither in den Straßen von 
            Lissabon durch Betteln, den Verkauf von Zeitschriften und Lotterielosen. 
            Und sie singt. 
          Als 
            Straßensängerin wird sie von zahllosen Einheimischen, Pendlern 
            und Touristen gehört. Einer der Touristen ist André Heller, 
            der ihre Stimme fortan nicht mehr vergessen kann. Als er später 
            für eine Produktion des österreichischen Fernsehens eine 
            Fado-Sängerin benötigt, erinnert er sich an Dona Rosa - 
            und die Suche nach der obdachlosen, blinden Straßensängerin 
            beginnt. 
          Nun, 
            der Ausgang der Geschichte ist bekannt. Dona Rosa wird im Jahr 2000 
            zur Weltmusikmesse WOMEX eingeladen, ihre Geschichte wird von portugiesischen 
            und internationalen Medien aufgegriffen und verbreitet. Zweihundert 
            Konzerte zwischen Finnland und Italien gab sie seither. Auf ihrer 
            ersten CD "Histórias da Rua" (Geschichten der Straße) 
            präsentiert sie das ganze Repertoire ihres Könnens. Sie 
            beeindruckt vor allem durch die Lieder, die ohne instrumentale Begleitung 
            singt. Sie singt diese Stücke mit geradezu traumwandlerischer 
            Sicherheit und einem Maß an Ausdruckskraft, das den Atem stocken 
            lässt. 
          Ihre 
            Stimme durchdringt Mark und Bein und berührt das Innerste der 
            Zuhörerseele. Auch auf ihrem neuen Album "Segredos" 
            (Geheimnisse) gibt es diese Momente voller Leidenschaft und "Saudade", 
            diesem urtümlichen Gefühl von Sehnsucht und Wehmut, das 
            nur Portugiesen wirklich kennen, und wie es nur im Fado ausgedrückt 
            werden kann, wenn nämlich Dona Rosa, sich selbst auf der Triangel 
            begleitend, von enttäuschter Liebe singt ("Mariquitas"), 
            oder von der Einsamkeit des jungen Mädchens fern der Heimat ("A 
            moça chorava"). 
          Doch 
            es ist nicht allein der Fado, dessen tief melancholische Atmosphäre 
            sie in so unvergleichlicher Weise beschwört, auch traditionelle 
            Volkslieder gehören zu ihrem festen Programm. Lieder wie "Milho 
            verde" oder "Laudarinha" (beide auf dem neuen Album 
            "Segredos" zu hören) öffnen kleine Fenster vorsichtiger 
            Freude und Leichtigkeit und beweisen, dass die Sängerin ihren 
            Optimismus und ihre Lebensfreude trotz vielfacher Schicksalsschläge 
            und eines wirklich bewegten Lebens keineswegs verloren hat. 
          Dona 
            Rosa hat einiges nachzuholen. Die "Straßensängerin" 
            hat ist zur gefeierten Bühnenkünstlerin geworden, die mittlerweile 
            nicht mehr allein auftritt. Auch "Segredos" wird sie wieder 
            live präsentieren, begleitet von ihrem Künstlerischen Leiter 
            und Arrangeur Enzo D'Aversa (Akkordeon) und Raul Abreu (Portugiesische 
            Gitarre). 
          Und, 
            so erzählt ihre Plattenfirma, sie will Englisch lernen, um mit 
            ihrem internationalen Publikum besser kommunizieren zu können. 
            Doch diese Mühe muss sie sich eigentlich nicht machen. Hat sie 
            doch die seltene Begabung, sich allein nur durch das Timbre ihrer 
            Stimme mitteilen zu können - und überall verstanden zu werden.
          © 
            Michael Frost, 15. Februar 2003