Eine 
            wirkliche Diva erkennt man am besten daran, dass man sich wünscht, 
            man hätte einen Strauß Rosen dabei, um ihr diesen zum Konzertende 
            überreichen zu können. Bei Cesaria Evora drängt sich 
            dieses Gefühl geradezu auf - dies als kleiner Tipp vorweg, falls 
            Sie einmal das Glück haben sollten, die Diva live zu erleben 
            ...
          Die 
            kleine, stets barfüßig auftretende Sängerin erhält 
            mittlerweile Blumen in Konzertsälen überall auf der Welt. 
            In diesem Jahr erwartet man sie erstmals in Osteuropa, Singapur und 
            Tahiti - und garantiert erliegen auch dort die Konzertbesucher ihrem 
            natürlichen und warmherzigen Charme. Kein Superlativ scheint 
            mehr zu hoch gegriffen, um ihre Bedeutung zu beschreiben: Fünf 
            Grammy-Nominierungen, diverse Preise und Goldene Schallplatten unterstreichen 
            ihren Ruf nicht nur als "Königin der Mornas", der traditionellen 
            Musik der Kapverden, sondern gleich als "Königin der Weltmusik". 
            
          Der 
            Erfolg kam verhältnismäßig spät, aber dafür 
            umso heftiger. Zeit ihres Lebens war Cesaria Evora in Mindelo auf 
            den Kapverdischen Inseln beheimatet, dort begann sie ihre Gesangskarriere 
            bereits im Jugendalter in den Hafenkneipen, wo sie vor einheimischem 
            Publikum und Seefahrern auf der Durchreise auftrat. 
          1988, 
            damals war sie 47 Jahre alt, wurde sie von einem Franzosen kapverdischer 
            Herkunft, der sie singen gehört hatte, nach Paris eingeladen. 
            Dort legte sie mit ihrem ersten Album "La Diva aux pieds nus" 
            (Die barfüßige Diva) den Grundstein ihres heutigen Ruhms.
          Schon 
            bald kannte man ihren Namen in Frankreich auch außerhalb der 
            Gemeinschaft kapverdischer Einwanderer; Cesaria Evora erhielt Einladungen 
            zu Festivals und Konzertauftritten.
          Ihr 
            Repertoire aus rhythmischen "Coladeras" und den melancholischen 
            "Mornas" fand rasch in verschiedenen Ländern große 
            Aufmerksamkeit. Denn trotz der einsamen Lage der Kapverden mitten 
            im Atlantik ist die Kultur des Landes durch verschiedenste Einflüsse 
            geprägt: Die ehemals portugiesische Kolonie war ein zentraler 
            Knotenpunkt des Sklavenhandels und Schiffsverkehrs zwischen Portugal, 
            Brasilien, Westafrika und der Karibik. Portugiesisch ist auch heute 
            noch Amtssprache, doch die Primärsprache der Einwohner ist ein 
            kreolischer Dialekt. 
          So 
            erkennt man in der Musik der Kapverden sowohl den Fado Lissabons als 
            auch brasilianische Samba, kubanischen Son und traditionelle afrikanische 
            Rhythmen - ein Stilmix von hohem Wiedererkennungswert, von dem auch 
            Cesaria Evora profitiert, und den sie mit bezaubernd sehnsüchtiger 
            Stimme veredelt. 
          Spätestens 
            seit 1993 ist sie ein Weltstar. Ihr Album "Miss Perfumado" 
            wird in Frankreich zum Verkaufshit, und eine Serie von Live-Auftritten 
            krönt sie mit zwei Konzerten im legendären Pariser Olympia 
            (ein Mitschnitt dieser Auftritte erschien 1996 auch auf CD, s. Diskografie 
            im Kasten). Seither wurden sämtliche ihrer Alben nicht nur von 
            der Kritik gefeiert, sondern immer auch zu großen Publikumserfolgen. 
            
          Und 
            Cesaria Evora ? Die Bar-Sängerin von einst, die von den Wirten 
            mit rund 70 Pfennig pro Lied bezahlt worden war und früher einmal 
            gesagt haben soll, sie wünschte sich, sie wäre in Brasilien 
            geboren, weil man dort "wenigstens von seiner Kunst leben" 
            könne ?
          Sie 
            genießt. Sie ist reif und erfahren genug, um sich nicht kompromitieren 
            zu lassen, und sie besitzt ein Übermaß an Energie, um die 
            Vorzüge ihres Erfolgs auskosten zu können: Cesaria Evora 
            scheint die Reisen zu genießen, die sie in die Heimat all der 
            Seefahrer führt, für die sie früher (und dem Vernehmen 
            nach manchmal noch heute) in Mindelo sang; sie freut sich, Familie 
            und Freunde abgesichert zu wissen. 
          Und 
            zahlreiche Kooperationen mit anderen Musikern zeugen von ihrer geradezu 
            unbändigen Neugier und Lust auf neue Herausforderungen. So entstanden 
            gemeinsame Aufnahmen etwa mit Ryuichi Sakamoto, dem brasilianischen 
            Bossanova-Star Caetano Veloso, Marisa Monte, Compay Segundo (Buena 
            Vista Social Club), ein Titel für den Emir-Kusturica-Film "Underground" 
            und jüngst ein Duett mit Salif Keïta für dessen Album 
            "Moffou", aber auch ein Remix-Album mit krachenden Dub- 
            und Ambient-Versionen ihrer Titel. 
          Auch 
            ihre Alben zeichnen sich durch immer professionellere und aufwändigere 
            Produktionsbedingungen aus. "São Vicente di longe", ihr 
            bislang letztes (und wiederum Grammy-nominiertes) Studioalbum von 
            2001 entstand in Rio de Janeiro, Havanna und Paris unter Beteiligung 
            des legendären brasilianischen Arrangeurs Jaques Morelenbaum 
            und knapp sechzig (!) weiteren Musikerinnen und Musikern. 
          Nachdem 
            sie bereits 1999 ein Best-of-Album veröffentlichte, das u.a. 
            eine hinreißende Neuaufnahme des durch Julio Iglesias berühmt 
            gewordenen "Besame mucho" enthält, legt Cesaria Evora 
            nunmehr eine 2 CDs umfassende "Anthologie" vor, die eine 
            Auswahl ihrer schönsten Mornas und Coladeras beinhaltet, darunter 
            auch eine neue Version ihres Klassikers "Sodade", diesmal 
            im Duett mit dem angolanischen Sänger Bonga. 
          Die 
            kluge Auswahl ihrer Titel für die Anthologie ermöglicht 
            einen anschaulichen Einblick in ihre Musik. Zudem wird deutlich, dass 
            Cesaria Evora ihr Repertoire längst nicht erschöpft hat, 
            ist sie doch stets zu klug genug gewesen, um auf der Stelle zu treten 
            und sich auf dem Erreichten auszuruhen. 
          Ihre 
            Kraft schöpft sie dabei sowohl aus den Wurzeln ihrer Heimat als 
            auch all den neuen Inspirationen, die sie auf ihren Reisen erfährt. 
            Und angesichts der Ankündigung einer weiteren Tournee ist nicht 
            zu erwarten, dass ihre Kreativität in absehbarer Zeit nachlassen 
            könnte. 
          Sollten 
            Sie also das Glück haben, in eines ihrer Konzerte zu gehen, dann 
            - um dies noch einmal zu sagen - vergessen Sie die Blumen nicht. Sie 
            begegnen einer Diva !
          Michael 
            Frost, 01. Juli 2002
          Die 
            Anthologie ist in einer einfachen Version und als Doppel-CD "Mornas 
            & Coladeras" bei BMG erschienen. Sparen Sie nicht am falschen 
            Ende ;-)