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"Gefühl des Göttlichen"


"So stelle ich mir die Göttin Hera vor. Ich entsinne mich keines anderen Künstlers, der mir in solch einem Maße das Gefühl des Göttlichen vermitteln konnte." Die Rede ist von Maria Farantouri, und der Ausspruch stammt von dem früheren Präsidenten Frankreichs, François Mitterand.

Wer sonst so kühl und diplomatisch agierende Politiker zu solchen Lobeshymnes hinreißt, muss etwas Besonderes sein. Und Maria Farantouri ist wahrlich besonders, wenn nicht einzigartig. Die heute 60-jährige Sängerin hat die zeitgenössische Musik Griechenlands geprägt wie keine Zweite; vor allem ihre zahllosen Aufnahmen mit Mikis Theodorakis sind legendär. Mit ihm vertonte sie die Lyrik von Pablo Neruda ("Canto general") und Garcia Lorca ("Romancero gitano"), zu ihrem Repertoire gehört die Musik italienischer Cantautori ebenso wie Victor Jara, Brecht/Weill und die Lieder des türkischen Poeten Zülfü Livanelli.

Gerade die Adaption türkischer Lyrik darf als bewusste politische Provokation verstanden werden: Maria Farantouri ist nicht nur die Stimme, sondern auch das Gewissen Griechenlands. Nach dem Militärputsch von 1968 verließ sie das Land, um danach in der ganzen Welt das Unrechtsregime in ihrer Heimat anzuprangern. Erst nach dem Ende der Diktatur konnte die fortan als "Joan Baez vom Mittelmeer" geltende Farantouri heimkehren. Ebenso wie ihr Mentor Theodorakis wurde sie später sogar Parlamentsabgeordnete, sie für die Sozialisten, er sogar als unabhängiger Minister der konservativen Regierung Mitsoutakis.

Die Erhabenheit ihrer Stimme, ihr elegantes, dramatisches Timbre sprengt oft genug die Grenzen zwischen populärer und klassischer Musik. Mit einem untrüglichen Gespür findet sie in jedem Lied, das sie interpretiert, eine verborgene Seite, die sie für ihr Publikum hörbar machen kann: Melancholie in der Fröhlichkeit, Hoffnung in der Trauer, Auswege aus der Verzweiflung, manchmal aber auch bedarf es des fotorealistischen Blicks auf den Zustand ihrer Heimat: "Dort, wo Flohkraut und wilde Minze wuchsen // und die Erde die erste Zyklame sprießen ließ // handeln die Bauern jetzt mit Zement // und die Vögel stürzen tot auf den Hochofen nieder" ("Persephones böser Traum").

Das Lied mit den anklagenden Worten eröffnet ihr aktuelles Album "Way home" (der Titel ist Englisch, obwohl die Farantouri nur Griechisch singt). Maria Farantouri möchte das Album als Dokument ihrer (erneuten) Heimkehr verstanden wissen. Sie, die während ihrer langen Karriere wohl überall auf der Welt auftrat und Freunde fand, kehrt nun ein weiteres Mal nach Griechenland zurück, voller Erinnerungen - aber ohne falsche Sentimentalität.

Mit kleiner, erlesener Besetzung (Henning Schmiedt: Piano - Christos Tsimoulis: Oud, Percussion - Volker Schlott: Saxophon, Flöte, Percussion - Jens Naumilkat: Cello) arrangiert sie viele ihrer geliebten Lieder von Theodorakis, Zülfü Livanelli und Chatzidakis zwischen griechischer Volkskultur, Jazz, Chanson und klassischem Schubert-Lied neu. Die Aufnahmen stammen allerdings aus dem Jahr 2003, sie wurden bei Konzerten in Belgien und den Niederlanden mitgeschnitten. Umso dichter und eindringlicher ist die Wahrnehmung, als man die konzentrierte Liveatmosphäre der Aufnahmen spüren kann.

Die Poesie der Lieder, vermittelt nicht nur durch Worte (erfreulicherweise enthält das Booklet deutsche und englische Textübersetzungen), sondern ebenso durch die Musik und vor allem den Zauber Farantouris Stimme, zieht die Menschen seit Jahrzehnten in ihren Bann und hat mit zunehmender Reife der Interpretin eher noch zugenommen. Einmal mehr wird Maria Farantouri durch "Way home" ihrem Status als eine der größten Künstlerinnen Europas gerecht. Und wenn man ihr nur genau zuhört, dann spürt man sogar ein wenig von dem Gefühl des Göttlichen, das Präsident Mitterand einst in ihrem Gesang ausmachte.

© Michael Frost, 01.07.2007

 

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