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Rauschen im deutschen
Chanson-Wald


Neidisch blicken wir seit einigen Jahren nach Frankreich. Zahllos scheinen dort die jungen Musikerinnen und Musiker, die sich des klassischen Chansons bemächtigten, ihn drehten und wendeten, zerlegten und neu zusammensetzten, die ihn auf den Kopf stellten (oder auf die Füße) und damit eine Welle lostraten, die längst zu den Nachbarn überschwappte (den "Le Pop"-Samplern und einem rührigen Exportbüro sei Dank).

Anders in Deutschland. Das Chanson fristete hier immer ein Schattendasein, gilt bis heute als antiquiert und verstaubt, ohne aktuelle Bezüge, entweder zu nahe am Schlager oder zu dicht am Kabarett, am Leben erhalten zumeist durch "Friedrich-Hollaender- und/oder Georg-Kreisler-Liederabend-Programme unterbeschäftigter Schauspieler" (taz). So weit, so langweilig. Doch Kitty Hoff hat diesen Vertretern musealer Kleinkunst etwas zu sagen: "Macht doch mal was Eigenes, ruht euch nicht jahrelang auf den alten Geschichten aus."

Und damit erst gar keine Zweifel über ihren Appell aufkommt, legt sie gleich ein Album vor: "Rauschen". Zwölf strahlend-frische Perlen des Chansons sind darauf enthalten, allesamt von Kitty Hoff und ihrer Band "Forêt-Noire" (Schwarzwald) selbst geschrieben, arrangiert und produziert, von der klassischen Piano-Ballade ("Glücklich") über sanfte Bossanova-Wogen ("Rauschen") bis zu jazziger Rhythmik ("Jazzwhisper").

Die Texte atmen die selbe Eleganz, von der auch die Musik beseelt wird. Kleine Absurditäten und Kuriositäten, Tagträume und alltägliche Begebenheiten, Momentaufnahmen - jedes Chanson bietet einen Einblick in eine kleine Welt, die meistens die eigene ist oder wenigstens sein könnte. Diese Geschichten werden von Kitty Hoff und Forêt-Noire liebevoll und zärtlich gezeichnet, manchmal mit einem Augenzwinkern, mit einer atmosphärisch stimmigen Einheit von Form und Inhalt.

Damit kommt Kitty Hoff ihrem französischen Ideal nicht nur auf die Schliche, sondern auch sehr nahe: Wie man nämlich unsentimentale Geschichten ohne Kitsch oder Pathos inszeniert, wie man Leichtigkeit und eine wohlige Grundstimmung erzeugt, ohne dabei seicht oder banal zu erscheinen, wie man sein Publikum intellektuell anregt, ohne dabei auf Emotionalität verzichten zu müssen.

Dass die spielerische Souveränität dieses Albums nicht nur auf leidenschaftlicher Detailverliebtheit fußt, sondern auch mit den fundierten Erfahrungen der Band zusammenhängt, steht außer Frage. Sämtliche "Forêt-Noire"-Mitglieder (Lu Ferreiro, Tasten; Jaques Maintenant, Kontrabass; Phil Marone, Gitarren und Alfons X, Schlagzeug) haben ihre Instrumente nicht nur studiert, sondern auch vielseitigste Praxis-Erfahrungen gesammelt. Kitty Hoff selbst studierte Gesang, Spiel und Tanz, aber auch Musik und Germanstik.

Erste Reaktionen auf "Rauschen" machen optimistisch. Schon der Überraschungserfolg, den Annett Louisan im vergangenen Jahr mit verschmitztem Lolita-Charme erzielte, weist darauf hin, dass es für eine neue deutsche Welle des Chansons durchaus ein aufgeschlossenes Publikum gibt. Mit Kitty Hoff hat Louisan nun eine erwachsene Schwester bekommen, und die französischen Stars der Nouvelle Scene wie Benjamin Biolay, Keren Ann und Francoiz Breut können sich über plötztliche Verwandtschaft in Deutschland freuen. Endlich: Es rauscht im deutschen Chansonwald.

© Michael Frost, 01. Oktober 2005


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