Schmal 
            und schmächtig, blonder Scheitel, stechender Blick, die Stimme 
            hoch und dennoch zwischen Tief- und Abgrund: Jay-Jay Johanson, aufgewachsen 
            in der schwedischen Provinz, heute einer der schillerndsten Musikexporte 
            seines Landes.
          Manchmal 
            müssen geradezu absurde Vergleiche herhalten, Wesen und Schaffen 
            des Schweden einzugrenzen, von Françoise Hardy ist da die Rede, 
            oder von Sinatra, treffender erscheinen Verweise auf Portishead und 
            sowieso Chet Baker, den er als größte Stimme des 20. Jahrhunderts 
            verehrt und in dessen Fußstapfen er nun geschrieben wird. 
          Am 
            Anfang stand "Whiskey", Johansons schwedisches Debüt, 
            ein Album voller Momente, in denen er einem Schauer über den 
            Rücken jagt, wohlige und ängstliche, warme und eisig kalte, 
            liebevolle und solche, in denen man sich liebsten vor der Musik in 
            Sicherheit bringen würde. 
          "So 
            tell the girls that I am back in town", ausladend und schwelgend, 
            oberflächlich die selbst inszenierte Rückkehr eines Playboys, 
            entpuppt sich spätestens im Video als beklemmende Ankündigung 
            eines Psychopathen vor der Haftentlassung. Dann Lieder wie "It 
            hurts me so", Johanson wimmert wie ein verletztes Tier, echt, 
            leidenschaftlich, besessen, und wir spüren: Hier lebt nicht jemand 
            mit seiner Musik, sondern in ihr, und angesichts des 
            Rauschhaften seiner Phantasien versagt jeder Versuch indifferenter 
            Distanzierung: Entweder man verfällt ihm und dem betörenden 
            Timbre seiner Stimme, die die mal sanft und wohlig klingt, dann wieder 
            klirrend und schneidend, manchmal alles zur gleichen Zeit - oder man 
            sucht entsetzt das Weite. 
          Seinen 
            Musikstil nennt die Plattenfirma "Trip Pop" und versucht, 
            mit dem Begriff sowohl die Elektronik, Dance- als auch die Jazz-Einflüsse 
            Johansons zu fassen, nicht ganz unpassend also, auch wenn der Begriff 
            des Pop vielleicht zu sehr in seichte Gewässer führt, in 
            denen Johanson mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht zu Hause ist.
          "Tatoo", 
            sein zweites Album, präsentierte Johanson auch beim SWR New Pop 
            Festival in Baden-Baden, doch überraschende Popularität 
            erlangte das Album vor allem in Frankreich. Dort erkannte man in Johanson 
            möglicherweise einen Modernisierer des Chanson (was den Hinweis 
            auf Françoise Hardy erklären könnte), und tatsächlich 
            hat "Tatoo" auch in dieser Hinsicht einige Überraschungen 
            zu bieten, gegenüber "Whiskey" klingt Johanson merklich 
            gereift, nochmals vielschichtiger, man erlebt ein bemerkenswertes 
            Zusammenspiel von Versatzstücken aus dem Jazz, elektronischen 
            Sequenzen und dem selbstvergessenen Gesang Johansons. Nie war er Chet 
            Baker näher, süßlich und cool zugleich, flehend und 
            schwelgend wie in der superben Single-Auskopplung "Milano Madrid 
            Chicago". 
          Die 
            wenigen Anflüge leichter Pop- und Latinsounds, wie sie auf "Tatoo" 
            noch vereinzelt zu finden sind, sucht man dagegen auf "Poison", 
            Album Nr. 3, mit dem Stetoskop. Rein äußerlich orientiert 
            sich das Album an der Cover-Art des 1997er Albums von Portishead, 
            und auch musikalisch greift Johanson offensiver als zuvor den Triphop 
            der Band aus Bristol auf. Es darf gelitten werden: Düster, elegisch, 
            schmerzlich - "Poison" ist ein Meisterwerk des Trübsinns. 
            Johanson deshalb jedoch als depressiven Melancholiker abzutun, wäre 
            ungerecht, weil unzulässig vereinfachend.
          Die 
            starke Reaktion auf seine Musik (sowohl die begeisterte als auch die 
            ablehnende) macht aber deutlich, dass er eine Seite der Seele anspricht, 
            die wir alle haben, bei einigen is sie ausgeprägter, bei anderen 
            schwächer, für ihn scheint die Musik ein Ventil zu sein, 
            die es ihm ermöglicht, sich seiner Persönlichkeit in allen 
            Facetten bewusst zu werden.
          Dazu 
            gehört dann vielleicht auch das neue Outfit des einstmals blonden 
            Schweden: Seit "Antenna" präsentiert Johanson sich 
            mit einer postmodernen Variante der Irokesenfrisur und bleichem Makeup. 
            Auch musikalisch ist "Antennta" ein Neubeginn - respektive 
            die Wiederentdeckung des Synthie-Pop der 80er Jahre. Johanson inszenierte 
            das Album geradezu als Hommage an den Elektrosound von einst, freilich 
            nicht ohne erneuernde Zutaten. "Prologue - The best of the early 
            years", Johansons erste "Best of"-Compilation, die 
            Ende Mai 2004 erscheint, hätte somit schon vor "Antenna" 
            veröffentlicht werden können, denn eigentlich befinden wir 
            uns längst in der 2. Phase der Karriere dieses geheimnisvollen 
            Künstlers. Der Hinweis "Early years" lässt allerdings 
            hoffen, dass noch weitere Etappen folgen werden. Man darf gespannt 
            sein! 
          © 
            Michael Frost, 1. November 2002
            Update: 21. Mai 2004
          