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Bossanova, Bowie
und Brasilien


Blauer Overall, eine alberne rote Zipfelmütze, stoischer Gesichtsausdruck und eine Gitarre, die mit der er seinen eigenen Gesang begleitete, Lieder, die man zu kennen glaubte und sich fast den Kopf zerbrach, bis man endlich darauf kam: Das war der unvergessene Auftritt des jungen Seu Jorge in der durchgeknallten Taucher-Parodie "The Life Aquatic" (2003) an der Seite von Bill Murray, Cate Blanchett und Anjelica Houston.

Seine als running gag inszenierten Einlagen prägten nicht nur den Film, sondern auch seine eigene Reputation: Er hatte Songs von David Bowie (u.a. "Rebel rebel" und "Rock'n roll suicide") ins Portugiesische übersetzt und ihnen einen Bossanova-Rhythmus verpasst. David Bowie selbst merkte später an, er habe nie bessere Coverversionen seiner Songs gehört. Inzwischen weiß man, dass Seu Jorge auch als Interpret seiner eigenen Songs unschlagbar ist.

Doch auch als Schauspieler hatte Seu Jorge sich früh als Schauspieler einen Namen gemacht: Er spielte den Mané in Fernando Meireles' Meisterwerk "Cidade de Deus" (City of God), als einer der wenigen Profis an der Seite der jugendlichen Laiendarsteller aus den Favelas von Rio de Janeiro.

Der ständige Seitenwechsel zwischen Film und Musik (in der Schnittmenge entstanden übrigens einige Filmmusiken) gehört für Seu Jorge zum festen Bestandteil seiner Biografie. Heute würde sich der 35-jährige Künstler vermutlich nur ungern auf eine künstlerische Sparte festlegen lassen. Ob als musizierender Schauspieler oder schauspielernder Musiker - er überzeugt in beiden Rollen. Doch spätestens seit seinem Album "Cru" (2004) scheint es, als habe der Musiker in ihm die Oberhand gewonnen. Er tourte durch die ganze Welt, bestritt in den USA einige Konzerte als Opener für keine Geringere als Cesaria Evora, und mit "America Brasil o disco" legt er nun ein weiteres Album fort, mit dem er seinem Ruf als einen der innovativsten Künstler seiner Zunft mehr als gerecht wird.

Seine Geschichte kommen aus mitten aus dem Leben der 'beiden Amerikas' - den Unterschieden zwischen Nord und Süd, den schwierigen sozialen Bedingungen Brasiliens, einem Land, das inzwischen an der Schwelle zur industriellen Großmacht steht, dabei jedoch weiterhin zahllose Opfer dieser Modernisierung produziert und ohne soziales Netz auf der Strecke lässt. Seu Jorge singt über diese Bedingungen als selbst ernannte "Voz de massa", wie sein Schlussstück heißt, aber ohne Pathos und Anmaßung, sondern mit der ihm eigenen Selbstverständlichkeit, mit er schon Davie Bowie imponierte.

Musikalisch bedient er sich ähnlich selbstbewusst bei allem, was seiner Sache dienlich ist: Samba und Bossa Nova, Rock und Folk, Akustikgitarre und drei Percussionisten. Daraus zaubert er einen Mix, der mal extrem tanzbar, mal auch betont zurückgenommen und lyrisch wirkt, in einer Mischung zwischen Singer/Songwriter-Pop und Straßenkarneval, wie sie nur die wenigsten seiner Kollegen beherrschen.

Seine rastlosen Tourneen hat er für die Studioaufnahmen zu "America Brasil o disco" unterbrochen, doch sicherlich steht er schon bald wieder auf irgendeiner Bühne oder imponiert auf einer Leinwand. Die Zipfelmütze aus "The Life Aquatic" hat er dabei längst an den Nagel gehängt - inzwischen erkennt man ihn auch ohne.

© Michael Frost, 01. August 2008

 

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