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Triphop am Tejo


Leider hat man von dieser hervorragenden Band aus der Schweiz länger nichts mehr gehört: "Mãozinha", Gruppe um Frontfrau Liliana Ferreira, hat bislang lediglich zwei CDs veröffentlicht - und die letzte ist bereits fünf Jahre alt (1998). Ihre offizielle Website ist nicht mehr erreichbar, und auch der Webmaster einer Fanpage beantwortet eMail-Anfragen nicht.

So gerät der Versuch eines Porträts zur Spurensuche. Zwei Alben wurden von Mãozinha in den 90er Jahren veröffentlicht: "Aerosferas" (1996) und "Mãe d'agua" (1998) . Was dort zu hören ist, wird von der Gruppe selbst als "Fado-Gesang, vermischt mit technoïden elektronischen Elementen" beschrieben, und das trifft den Kern vielleicht tatsächlich. Mãozinha ist der seltene Versuch einer portugiesischen Antwort auf Bands wie Massive Attack oder Portishead - Triphop vom Tejo, aber 'Made in Switzerland'.

Nicht-englischsprachiger Musik wird auf internationalem Parkett oftmals die Unverständlichkeit der Texte entgegengehalten. Mãozinha ließ die Ignoranz der Marketingstrategen offenkundig kalt. Die portugiesische Sprache ist zentrales Klangelement, aus der die Musik einen Großteil der Spannung bezieht, und weil Textverständnis weder erforderlich noch überhaupt gewünscht wurde, verzichteten Mãozinha sogar auf den Abdruck der Texte im Booklet. "Meine Lieder sollen Bilder hervorrufen", sagt Liliana Ferreira, und das gelingt ihr mit außerordentlichem Geschick.

Gegründet wurde Mãozinha bereits 1994. Gemeinsam mit ihren Schweizer Kollegen Oliver Hartung (Gitarre), Jürg Schmidhauser (Bass), Oliver Kuster (Keyboards, Sampling) und Bidu Läderach (Drums, Sampling) entwickelte sie ihren ureigenen Sound aus Fado, Ambient und Triphop - ein "vielversprechendes Konzept", wie ein Kritiker damals befand.

Liliana Ferreira lebt bereits seit ihrer Kindheit in der Schweiz. Die Kultur ihrer Eltern ist ihr dennoch nicht fremd. Sie bildet den Ausgangspunkt für ihre Klangexperimente, die mit dem, was man als klassischen Fado bezeichnen könnte, allerdings nur noch wenig gemein hat. Ihre beiden Alben sind deshalb wichtige Beispiele für kulturelle Wechselwirkungen und Beeinflussungen, wie sie nur in Migrationsgesellschaften entstehen können.

Interessanterweise lässt sich am Beispiel Mãozinhas auch eine Rückwirkung ihrer Arbeit auf die Musikszene in Portugal nachvollziehen. Dort nämlich, bei der portugiesischen EMI, erhielt die Gruppe einen Vertrag zur Veröffentlichung ihres zweiten Albums, was sie zu Wegbereitern der Modernisierung traditioneller Musik werden ließ.

Vier Jahre später setzte Madredeus, Portugals wohl berühmteste Gruppe, mit ihrem ambitionierten Remix-Projekt "Electronico" eben diesen Weg fort. Schade, dass von den Pionieren des Genres seither nichts mehr zu hören ist.

© Michael Frost, 1. Januar 2004


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