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Auf Augenhöhe


Sie brauchte nur einen einzigen Song, um eine neue Ära der Rockmusik einzuläuten: Alanis Morissette. Als sie 1995 mit "Ironic" und dazu gehörigem Video via MTV die Wohnzimmer enterte, wurde sie zum Symbol einer neuen Generation von Rockmusikerinnen, die sich abseits folkloristischer Sentimentalität und frauenbewegtem Pathos positionierten.

Alanis Morissette machte sich zwar nicht nur Freunde - vor allem aber Freundinnen. Ihr Anspruch ist weniger politisch, weshalb sie von Feministinnen misstrauisch beäugt wird, und doch waren die Songs ihres ersten international veröffentlichten Albums "Jagged little pill" an Kritik und bissigen Seitenhieben gegen die Welt der Männer im allgemeinen und einzelne Exemplare im besonderen unüberhörbar.

In der Musik ist es nicht anders als in anderen Bereichen der Kunst. In der von Männern dominierten Branche gilt eine weibliche Musikerin schnell als Spezifikum, mit "spezifisch weiblicher" Sicht, was in aller Regel als Abwertung und Einschränkung gemeint ist. In der Literatur gibt es dafür den abqualifizierenden Begriff des "Frauenbuchs" - und die Rockmusik funktioniert ähnlich.

Alanis Morissette ist das alles offensichtlich egal. Im Unterschied zu Musikerinnen der 70er und 80er Jahre fordert sie nicht die Gleichberechtigung, sondern setzt sie als Selbstverständlichkeit voraus und begegnet ihren männlichen Gegenübern deshalb auf Augenhöhe.

Von dieser Warte aus kritisiert sie ihre männlichen Partner, formuliert lustvoll ihre eigenen Ansprüche an Liebe, Sex und Beziehungen und legt doppelbödige Moralvorstellungen offen. Dieser neue und selbstbewusste Umgangston ist vermutlich ein wesentlicher Faktor ihres internationalen Erfolgs. Madonna, bekannt für ihr untrügliches Gespür in Bezug auf Zeitgeist und Mode, wird das Potenzial der Morissette geahnt haben, als sie ihr einen Vertrag mit ihrem eigenen Label "Maverick" anbot.

Zu dem Zeitpunkt hatte Alanis Morissette gerade in ihrer kanadischen Heimt mit zwei Alben erfolgreich auf sich aufmerksam gemacht und arbeitete hart daran, ihre Karriere in den USA fortzusetzen. Damals war sie gerade erst zwanzig Jahre alt. Geboren wurde sie 1973 und wuchs als Tochter eines Frankokanadiers und einer aus Ungarn stammenden Mutter auf.

Mit "Jagged little pill", ihrer ersten Produktion bei Maverick, war der Erfolg nicht mehr aufzuhalten. Vier Grammies in einem Jahr ("Album des Jahres", "Bestes Rock-Album", "Beste Stimme", "Bester Rock-Song") machten sie zum Superstar.

Auch wenn "Supposed former infatuation junkie" nicht an die Verkaufszahlen des vorangegangenen Albums anknüpfen konnte, so überzeugte sie letztlich doch mit 17 selbst geschriebenen Titeln, auf denen sie sich gleichermaßen kraftvoll und vielschichtig präsentierte.

Weiteren Grammy-Auszeichnungen und internationalen Preisen folgte eine ausgedehnte Welt-Tournee, schließlich ein hoch gelobtes Konzert im Rahmen der MTV-unplugged-Reihe, das sie anschließend auch als CD veröffentlichte.

Die Qualität ihrer Arbeit hängt vermutlich direkt mit der Zeit zusammen, die sie sich stets für ihre Produktionen lässt. Für eine junge Künstlerin wie sie ist es angesichts der kurzlebigen Musikbranche aber unter Umständen ein Wagnis, erst vier Jahre nach "Supposed former infatuation junkie" mit einem neuen Studioalbum aufzutauchen - umso höher steigen die Erwartungen.

Aber nun endlich ist ihr neues Album "Under rug swept" erschienen. Es bietet die bewährte und sehr gitarrenlastige Mischung aus lauten Rock-Titeln und harmonischeren Balladen, für die sie von ihren Fans geliebt wird. Die elf Stücke produzierte sie wiederum fast im Alleingang und ohne Rücksicht auf die Gesetze des Kommerzes. Dem Album hat das gut getan, denn alle Titel auf "Under rug swept" präsentieren Alanis Morissette von ihrer besten Seite: hautnah, provokant, echt und ehrlich.

Michael Frost, 15. Februar 2002
Update: 14. März 2002

 

 

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