Das 
            Verhältnis zwischen Korsika und dem französischen Festland 
            ist schwierig. Die "Ile de Beauté" fühlt sich 
            von Paris bevormundet, strebt nach mehr Autonomie, mancher sogar nach 
            Unabhängigkeit, und dies nicht ausschließlich mit dem Mittel 
            der Gewaltlosigkeit. 
          Korsika 
            birgt eine stolze eigene Kultur, eine eigene Sprache, die wie eine 
            sehr eigenwillige Mischung zwischen Französisch, Italienisch 
            und Spanisch klingt, und vielleicht hätte man Korsisch hier und 
            in Frankreich nicht ohne weiteres zur Kenntnis genommen, gäbe 
            es nicht "I Muvrini", einerseits die Bezeichnung für 
            ein Mufflon (ein auf Korsika vom Aussterben berohtes Wildschaf), andererseits 
            Name einer Band, die dem europäischen Festland korsisches Kulturgut 
            nahezubringen versucht - und das mit einigem Erfolg.  
          I 
            Muvrini, das sind die Brüder Jean François und Alain Bernardini, 
            und gemeinsam widmen sie sich schon seit den späten 1970er Jahren 
            der Verbindung von französischem Pop, internationalem Rock und 
            der traditionellen Musik Korsikas und anderer Mittlemeerkulturen. 
            
          Aus 
            der Leidenschaft für die eigene Herkunft wuchs die Bestimmung. 
            Die Brüder gründeten auf Korsika Musikschulen, in denen 
            die Kinder mit der musikalischen Tradition ihrer Heimat bekannt gemacht 
            wurden. Parallel engagierten sie sich in der Terrorismus-Debatte der 
            70er Jahre mit einem eigenen Album: "Anu da vulta" (Sie 
            werden zurückkehren).
          Trotz 
            der zunächst fehlenden Unterstützung durch die Radiostationen 
            - angesichts der provokanten Themen keine wirkliche Überraschung 
            - kommt man in Frankreich seit Mitte der 80er Jahre an I Muvrini nicht 
            mehr vorbei. Erste Festivalauftritte machten die Band bekannt: Korsika 
            war nicht länger ein weißer Fleck auf der musikalischen 
            Landkarte. 
          Der 
            Erfolg ist seither ständiger Begleiter der Band. I Muvrini sind 
            in Frankreich, aber auch darüber hinaus, eine Institution. Ihre 
            treue Fangemeinde schwenkt auf Konzerten die korsische Flagge, Symbol 
            der Eigenständigkeit der Insel, und nicht selten geraten die 
            Auftritte der Gruppe zum politischen Manifest. Dazu trägt der 
            oft hymnische Charakter ihrer Lieder bei. 
          Die 
            Stimmung ihrer Konzerte dokumentiert vielleicht am eindruckvollsten 
            ihr auf 2 CDs erschienener Mitschnitt eines Auftritts im Pariser Zenith. 
            Traditionelle Instrumente und Vokalgesang treffen auf eine regelrechte 
            Gewitterwolke aus Keyboard-Sounds, wiederkehrende Refrains erzwingen 
            das Mitsingen und verwandeln das Konzert in ein feierliches Happening 
            voller Pathos und Gefühl; durchaus eine Herausforderung gerade 
            für das deutsche Publikum, das mit derart zur Schau gestelltem 
            Nationalstolz in der Regel so seine Probleme hat. Doch selbstredend 
            ist die Musik der Brüder und ihrer Begleiter alles andere als 
            rückwärtsgewandt. Ihnen geht es vielmehr um die gegenseitige 
            Bereicherung, indem sie Versatzstücke ihrer eigenen mit anderen 
            Traditionen finden und dadurch zu ganz neuen Hörerlebnissen gelangen. 
            
          In 
            dieses multi-kulturell inspirierte Bild passt auch die Liste ihrer 
            Kooperationspartner. Kaum eine Musikgröße Frankreichs, 
            mit der I Muvrini noch nicht gemeinsam gesungen hätten: Jacques 
            Dutronc bat sie 1990 um Unterstützung für sein Album "Corsica". 
            Michel Fugain, Véronique Sanson und andere folgten: Mit Sting 
            nahmen sie "Fields of Gold" bzw. "Terre d'oru" 
            auf, mit Ute Lemper intonierten sie bei den "Solidays" 2000 
            eine phänomenale Cover-Version von Jacques Brels Klassiker "Amsterdam", 
            dann wieder beteiligten sie sich an Angelo Branduardis Projekt über 
            das Leben des Francesco d'Assisi.
          In 
            Deutschland sah man I Muvrini zuletzt im Herbst 2001. Auf ihrer Tour 
            wurden sie von dem Schweizer Rock-Poeten Stephan Eicher begleitet, 
            mit dem die Band eine längere Freundschaft verbindet. Eicher 
            hatte I Muvrini während ihrer traditionellen Sommertournee durch 
            die Ortschaften Korsikas begleitet und folgte anschließend ihrer 
            Einladung nach Deutschland. 
          Stephan 
            Eicher ist auch auf dem neuen Album der Korsen zu hören. Es heißt 
            "Umani" (Menschen) und entfernt sich inhaltlich zum Teil 
            sehr weit von der korsischen Thematik, wenn sie beispielsweise mit 
            dem Rapper McSolaar die Unterdrückung afghanischer Frauen verurteilen 
            ("A Jalalabad"). 
          Andererseits 
            bleiben sie sich aber auch in diesen Momenten treu. Freiheit von Unterdrückung, 
            die Forderung nach Selbstbestimmung und friedlicher Konfliktlösung 
            ist kein Thema, das nur nach Korsika gehört. Es ist ein globales 
            Thema - wie auch die Musik von I Muvrini. 
          © 
            Michael Frost, 1. Februar 2003