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Der Gesamt-Kunstwerker


Es gibt in der Kunst eine Linie, die direkt von Andy Warhol zu Jim Avignon führt. Auch Joseph Beuys kreuzt diese Spur, und mit ihm die Vertreter des Fluxus, die das traditionelle Kunstwerk als bürgerlichen Fetisch bezeichneten und folglich ablehnten und durch Aktionskunst ersetzten. Yoko Ono, eine der populärsten Vertreterinnen des Fluxus, zertrümmerte ihr Kaffeeporzelan und lässt die Scherben seither von den Besuchern ihrer Ausstellungen wieder zusammen setzen, während der Südkoreaner Nam Jun Paik, einer der Fluxus-Begründer, zu den Pionieren der Videokunst zählt.

Jim Avignon setzte den Grundgedanken der Aktionskunst auf verschiedene Weise um: Auf der Dokumenta X malte er jeden Tag ein neues Bild, nur, um es anschließend wieder zu vernichten. Bilder für seine Ausstellungen malt er manchmal erst nach ihrer Eröffnung, und immer wieder bringt er seine Werke zu Dumping-Preisen oder sogar gratis unters Volk - und unterläuft damit gezielt die spätrömische Dekadenz des internationalen Kunstmarkts, der längst jede Bodenhaftung verloren hat.

In den 90er Jahren schloss Avignon sich der Techno-Szene an, für deren Rave-Partys er die Dekoration entwarf. Parallel befasst er sich selbst auch mit der Musik, die fortan sein zweites Standbein wurde. Die Leichtigkeit des Pop hatte ihn fasziniert, und gerade in dieser Zeit, in der die elektronische Musik das Genre neu belebte, fand er hier das kreative Umfeld, in dem er schließlich eigene Projekte realisieren konnte.

Auch hierin orientiert sich Avignon, der 1966 in München geboren wurde, an einer Szene, die immer aus Künstlern bestand, die sich nicht auf ein bestimmtes Metier begrenzen lassen wollten und statt dessen die Verknüpfung unterschiedlicher Gattungen suchten. Ob Warhol, John Cage oder Yoko Ono, Beust, Keith Haring, Brezel Göring oder Pipilotti Rist - Dada, Popart, Fluxus und die multimediale Digitalkunst sind ohne die Einbeziehung von Musik nicht denkbar.

So schuf sich auch Jim Avignon sein eigenes musikalisches Projekt: Neoangin heißt es, was nach Medizin klingt und auch so gemeint ist, hinter dem sich tatsächlich aber ein subversives Lo-Fi-Electro-Projekt verbirgt, oder eine "1-Mann-Heimelektronikband", wie Avignon es selbst bezeichnet. Seit Jahren tobt er sich auch auf dieser Bühne aus. Mal veröffentlicht er ein Album nur via Itunes, ein anderes verkauft er ausschließlich auf Konzerten und verzichtet auf jede Promotion. Als ihm der Erfolg einer EP mit fünf Coversongs von The Cure zu unheimlich wird, lässt er die Produktion einfach stoppen.

"Say hi to your neighbourhood" ist sein aktuelles Album, mit dem er manchmal banale, meist offenherzige Lebensweisheiten verbreitet, verpackt in einen Sound, der über weite Strecken wie die musikalische PC-Spieluntermalung auf einer alten Nintendo-Konsole klingt. Es quietscht und klingelt, dass es eine wahre Freude ist, es piept und klappert wie in einem Super Mario-Spiel. Neighbourhood - Nachbarschaft - ist für Avignon dabei ein Begriff, der die Zusammenhänge der globalisierten Welt kennzeichnet. Ihre Vor- und Nachteile will das Album ausloten, doch verschließen, so das zu erwartende Credo eines Künstlers, der schon immer auf Austausch setzte, könne man sich der "Highspeed-Welt" (Avignon) gegenüber nicht. .

Videolink: Neangin "Middleclass hell" / youtube
 

Avignon selbst, der seit einigen Jahren in New York lebt, inszeniert seine Texte mit stoischer Gleichmut meist mit hemmungslos deutschem Akzent und sinniert darin beispielsweise über die Wahrnehmung der Zeit: "Time don't move when you're down ...., time flies by when you wish that it would stay".

Man mag sich gut vorstellen, wie Avignon seinen betont eindimensionalen Sound zu Happenings verdichtet und Konzerte im üblichen Sinne zur Aktionskunst umdeutet. Dazu passt, dass er das Booklet seines Albums natürlich mit eigenen Bildern selbst gestaltete Man mag hierin auch ein Statement gegen die Download-Gesellschaft sehen, bei der dieser visuelle Teil einer Musikveröffentlichung zunehmend missachtet wird und schließlich verloren geht - das jedenfalls würde zum Credo des multi-medial orientierten Gesamtkunstwerkers passen.

© Michael Frost, 01. Mai 2010

 

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