.

Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

Ein klassischer
Cantautore


Was ist der Unterschied zwischen Gott und Berlusconi ? - "Gott glaubt nicht, dass er Berlusconi ist", sagt Pippo Pollina, einer der wenigen italienischen Künstler, der sich aktuell noch mit kritischen Aussagen zur politischen Realität in seiner Heimat an die Öffentlichkeit traut. Ansonsten herrscht längst beängstigendes Schweigen: Keine andere Branche ist von der Gunst des Ministerpräsidenten und seinem Medienimperium so abhängig wie die Kultur - und entsprechend vorsichtig, so hat es den Anschein, verhält sie sich.

Pollina ist vielleicht deshalb eine der seltenen Ausnahmen, weil er nicht auf die Medienpräsenz in Italien angewiesen ist, lebt er doch bereits seit 1987 in der Schweiz. Geboren wurde er jedoch in Palermo, der Hauptstadt Siziliens, und die Beschäftigung mit seiner Heimat hat er nie ganz aufgegeben. Seit 1979 war er Teil der Gruppe "Agricantus", die traditionelle Rhythmen Kampaniens und Siziliens mit Ambient- und Pop verband, daneben spielte er Theater, studierte klassische Gitarre, später Archäologie und Jura - letzteres bei dem legendären Ex-Bürgermeister Palermos und späterem Europaabgeordneten der Grünen Leoluca Orlando, der sich als einer der schärfsten Gegner der Mafia einen Namen machte.

Mit Orlando traf Pollina später auch öffentlich zusammen, zuletzt im Januar 2003 bei einem gemeinsamen Auftritt in der Münchener Muffathalle. Dort diskutierten die beiden über die Mafia und die aktuelle politische Situation in Italien, nachdem Pollina im ersten Teil des Abends Lieder aus seinem umfangreichen Repertoire gesungen hatte.

Von der Hommage an den von Pinochets Schergen ermordeten chilenischen Dichter Victor Jara ("Il giorno del falco" / Der Tag des Falken) bis zur Erinnerung an die Opfer von Tschernobyl - Pippo Pollina ist ein klassischer Cantautore im besten Sinne des Wortes, der nicht aufhört an die Bedeutung der Kunst für gesellschaftliche Veränderungen zu glauben.

Damit unterscheidet er sich vom seichten Gefasel vieler seiner Zeitgenossen - und bringt ihn immer wieder mit einigen seiner bedeutendsten Kollegen zusammen. Mit Konstantin Wecker nahm er das Duett "Questa nuova Realtà" (Diese neue Wirklichkeit) über das Erstarken der rechtsextremen Szene in Deutschland und Italien auf, mit Georges Moustaki, Angelo Branduardi, Tracy Chapman und Gianna Nannini bestritt er Festival-Auftritte.

In den vergangenen Monaten war Pollina so aktiv wie kaum zuvor. Gleich zwei CDs erschienen in kurzer Abfolge: "Caffè Caflisch", eine neue Zusammenarbeit mit seinem Schweizer Kollegen Linard Bardill - und direkt anschließend der Höhepunkt in Pollinas inzwischen 25-jährigen Bühnenkarriere. Gemeinsam mit dem 70-köpfigen Sinfonieorchester des Züricher Konservatoriums hatte er mehr als ein Dutzend seiner wichtigsten canzoni neu eingespielt - ein triumphales Jubiläum für den Maestro der leisen Poesie, denn das Orchester spielt großartig auf und verwandelt Pollinas stille Balladen mal in dramatische Soundtracks, mal in überschwängliche Platzkonzerte.

"Caffè Caflisch" nimmt sich deutlich sentimentaler aus: Das Album "über die Heimat in der Fremde" spürt nämlich Schweizer Auswanderern nach, die vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts überall in Europa und Amerika nach einer neuen Heimat suchten. So geht auch das "Caffè Caflisch" in Palermo, in dem Pollina einst während des Studiums seinen caffè trank, auf einen Schweizer zurück. Pollina und Bardill erzählen in ihren Liedern die Geschichten dieser Auswanderer aus einer Zeit. Pollina verarbeitet so wohl auch seine Biografie, die ihn einst in umgekehrte Richtung von Sizilien in die Schweiz führte. Doch ebenso hält er den Eidgenossen, die gerade eine heftige Diskussion über Einwanderung und Abschottung führen, einen Spiegel vor, indem er ihnen zeigt, dass auch sie selbst in der Geschichte zur Migration gezwungen waren.

So gelingt es Pollina auch hier, Lyrik, Musik und politischen Anspruch miteinander zu verbinden, ohne dabei einen dieser Bereiche zu vernachlässigen. Alles zusammen macht ihn schließlich - wiederum im besten Sinne des Wortes - zu einem klassischen Cantautore.

© Michael Frost, 14. Februar 2004
Recherche: Doris Petroll
Letztes Update: 28.02.2010

 


[Archiv] [Up]