Rückblende: 
              1979, Montreuil, in der Umgebung von Paris. Cathérine Ringer, 
              Tochter eines polnischen Juden, der nach fünfjähriger 
              Gefangenschaft im Konzentrationslager nach Frankreich emigriert 
              war, trifft auf Fred Chichin, einen von der Musik besessenen Ex-Hippie, 
              der am liebsten mit der einen Hand Gitarre spielen und mit der anderen 
              den Synthesizer bedienen würde. Cathérine Ringer hat 
              erste künstlerische Erfahrungen hinter sich: Gesang, Theater, 
              Tanz und Porno. 
            Beide 
              teilen offenbar eine anarchische Grundhaltung, die es ihnen ermöglicht, 
              mit künstlerischen Traditionen zu experimentieren oder ganz 
              zu brechen, Stilrichtungen hemmungslos zu vermischen, zu erneuern 
              oder/und zu erfinden. 
              
            Die Neugier treibt sie an, und vergleichbar der jungen Nina Hagen 
              bewegt sich das Duo Ringer/Chichin auf einer Achse zwischen schrillem 
              Post-Punk und großer Oper. "Les Rita Mitsouko", 
              so der bizarre Bandname (mitsouko bedeutet auf Japanisch "Geheimnis"), 
              touren mit ihren ersten Songs durch die Clubs, veröffentlichen 
              eine Single und bekommen gute Kritiken.
            1984 
              erhalten Les Rita Mitsouko ihren ersten Plattenvertrag bei Virgin 
              und starten sofort durch. Die erste Single "Restez avec moi" 
              wird über eine Million Mal verkauft. Das Album enthält 
              außerdem bereits einige ihrer bis heute erfolgreichsten Songs: 
              "Marcia baïla" oder "Don't forget the nite".
            Mal 
              funky, mal schrill, mal kitschig, mal rockig, mal Diva:"Les 
              Rita Mitsouko" werden in Frankreich rasch zu Stars und im Ausland 
              Aushängeschilder für die pulsierende Szene Paris' und 
              Symbole einer neuen post-modernen Generation von Musikern, die den 
              Spagat zwischen französischem Chanson und internationaler Pop/Rock-Kultur 
              zu schaffen versucht.
            "The 
              no comprendo" (1986) und "Marc & Robert" (1988) erfüllten 
              die an Les Rita Mitsouko gestellten Erwartungen voll und ganz. Trotzdem 
              sie, vor allem in Frankreich, aber auch in anderen europäischen 
              Ländern, berühmt wurden, ist Ringer/Chichin immer das 
              Image einer anarchischen post-punk-indie-Band geblieben. Zu Zeiten 
              des New Wave galten sie als deren wichtigster französischer 
              Beitrag, ohne dass sie aber jemals die pathetische Schwermut zelebriert 
              hätten, die zur festen Attitüde britischer Wavebands gehörte.
            Aus 
              ihren tanzbarsten Kompositionen machten sie 1990 "Re", 
              Remix- und Best of-Album zugleich. Unter den Aufnahmen finden sich 
              auch Remix-Versionen von William Orbit: "Tongue Dance" 
              und "Hip Kit" vom "Marc & Robert"-Album.
            Erst 
              1993 legten Rita Mitsouko nach und veröffentlichten "Système 
              D", schräger, schriller, rockiger, hypnotischer als die 
              Vorgänger - ihr bestes Album, das eine Adaption des "hôtel 
              particulier" von Serge Gainsbourg enthält, eine Huldigung 
              an James Brown "The Godfather of Soul", und "Les 
              Amants", einen sehr französischen Titel mit viel Akkordeon, 
              den Leos Carax für seinen Film "Les Amants du Pont Neuf" 
              mit Juliette Binoche benutzte. 
            Von 
              Anfang an waren Les Rita Mitsouko nicht darauf aus, den Markt mit 
              ihren Produktionen zu überfluten. Wenigstens zwei Jahre liegen 
              jeweils zwischen der Veröffentlichung ihrer Alben, in den 90er 
              Jahren sogar noch mehr. 
            Anfang 
              2000, als eigentlich schon niemand mehr damit rechnete, kamen Les 
              Rita Mitsouko nach siebenjähriger Studiopause mit "Cool 
              frenesie" zurück. Seither waren sie wieder äußerst 
              präsent. Nach einer Best-of-Compilation ("Bestov") 
              und dem erstaunlich kraftvollen Album "La Femme Trombone" 
              (2002), das nahtlos an die alten Stärken anknüpft, weil 
              es sich vom Zeitgeist abekoppelt und den ur-eigenen Sound des Duos 
              betont, folgte  ein regelrechter Paukenschlag:
            Mit 
              dem traditionsreichen Pariser Symphonie-Orchester "Orchestre 
              Lamoureux" (seine Geschichte reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück) entstand ein im Théatre des Champs-Elysées 
              aufgeführtes Konzertprojekt mit Chansons von Ferré, 
              Trénet, Gainsbourg und eigenen Kompositionen. Das später auf 
              CD erhältliche Ereignis sprüht vor Spiel- und Lebensfreude 
              und zeigt das noch immer begnadete Stimmvolumen von Chanteuse Catherine 
              Ringer. 
            Inzwischen bewahrt die Sängerin das Erbe ihrer Band allein, denn Fred Chichin starb im November 2007 an einer Krebserkrankung. Das Duo befand sich gerade auf einer ausgedehnten Konzertour, als die Krankheit weitere Auftritte unmöglich machte. Das zuvor erschienene "Variety" wird somit das letzte Album einer der ungewöhnlichsten Bands der letzten Jahrzehnte bleiben. 
            A. 
              Gris / 17. Oktober 2000
              Update: Michael Frost, Nov. 2009