Eine 
            angedeutete Melodie auf der Flamenco-Gitarre, unterlegt mit leisen 
            Percussions, und dann die Intonation einer Stimme, eigentlich nur 
            eine Ahnung, in das Mikrofon gehaucht, hörbar sind nur einzelne 
            Wörter, die erkennen lassen, dass hier Spanisch gesungen - geflüstert 
            - wird, "tengo en mi mano una estrella" (Ich halte in meiner 
            Hand einen Stern), aber auch von "Piki" ist die Rede: "Nur 
            weil er schwarz war, haben sie meinen Freund Piki verurteilt, gedemütigt 
            und geschlagen - sie haben meinen Freund getötet ...". 
          Langsam 
            und verhalten baut sich eine Melodie auf, eine sich kontinuierlich 
            verstärkende Spannung, eine Eruption, die sich plötzlich 
            in Form einer unangekündigten Tempobeschleunigung entlädt, 
            einem leidenschaftlichen Gitarrensolo, einsetzenden Percussions, einem 
            Schrei mit genau derselben Stimme, die vor einem Sekundenbruchteil 
            noch vor Heiserkeit kaum flüstern konnte - all diese Zuschreibungen 
            finden sich in der Musik von Bernardo Sandoval, einem Flamenco-Virtuosen 
            der Extraklasse.  
          Flamenco 
            ist Blues, und Liebe ist Leiden, dies vielleicht die zentrale Aussage 
            der Musik des in Toulouse lebenden Sandoval, dem immer wieder eine 
            begnadete Mixtur aus Flamenco, Blues, Jazz und Latino-Rhythmen gelingt. 
            "Sein Adlerprofil und sein scharfer Blick enthüllen die 
            Leidenschaft und das innere Feuer, dass seine Musik gleichzeitig nährt 
            und verschlingt", schrieb ein Toulouser Magazin über seinen 
            zugewanderten Mitbürger.
          Sein 
            außergewöhnliches Können bewies er bereits auf mehreren 
            Alben, die zwar leider nicht alle in Deutschland erschienen sind, 
            aber einige seiner schönsten Aufnahmen sind beim kleinen Label 
            "Pläne" erschienen, darunter auch "Por ti" 
            eine Best-of-Compilation ("Les années 90" in der 
            französischen Ausgabe), dann das superbe Live-Doppelalbum "Vida" 
            und jetzt auch "Hoy", Sandovals jüngstes Studioalbum.
          Bernardo 
            Sandoval kam in den 1960er Jahren aus wirtschaftlichen Gründen 
            mit seinen Eltern nach Südfrankreich. In den Sommerferien kehrte 
            der junge Bernardo jedoch regelmäßig mit seinem Bruder 
            nach Spanien zurück, wo sie die Zeit gemeinsam bei einem Freund 
            des Vaters verbrachten, der ein Meister der Musik der Gitanos, der 
            spanischen Roma, war. Bernardo fängt sofort Feuer. Später 
            wird der Vater die Gitarre sogar wegschließen, damit er überhaupt 
            noch etwas anderes macht - doch die Musik ist fortan sein Leben: "Ohne 
            sie wäre ich zweifellos ein Straßenjunge geworden."
          Er 
            hört die Platten von Paco de Lucia und Manolo Sanlucar. Mit 17 
            tritt er zum ersten Mal öffentlich auf, ein paar Jahre später 
            ist er bereits auf pausenloser Tour, spielt bei allen sich bietenden 
            Gelegenheiten und sammelt die Erfahrungen, von denen seine Musik heute 
            profitiert. 
          Ihn 
            faszinieren Wesen und Herkunft des Flamenco, und er lässt sich 
            von dessen etablierten Vertretern nicht in Ketten legen. Spanier und 
            Gitanos behaupten jeweils, sie hätten den Flamenco erfunden, 
            doch beide Gruppen ignorieren seine afrikanischen und arabischen Wurzeln, 
            glaubt Sandoval und fördert eben diese Wurzeln wieder offen zu 
            Tage. Schon auf seinem ersten Album "Camino dell'alba" sind 
            die Einflüsse unterschiedlicher Kulturen auf seine Musik deutlich 
            zu hören, die er seitdem in seinen Kompositionen in unnachahmlicher 
            Weise zu einem ganz eigenen Stil zusammenführt. 
          Zwischendurch 
            beteiligte er sich immer wieder auch an Projekten anderer, so schrieb 
            er beispielsweise die Musik für den Film "Western", 
            was ihm den "César", den französischen Filmpreis 
            für den besten Soundtrack einbrachte, und gemeinsam mit verschiedenen 
            Musikerkollegen aus Toulouse gründete er das viel beachtete Band-Projekt 
            "100 % Collegues". Die Kooperation der Musiker entstand 
            aus Spaß und dem Wunsch, abseits der eigenen Produktionen Musik 
            abseits des Drucks von Plattenfirmen, Veröffentlichungszwang 
            und kommerziellen Erfolg machen zu können, wurde jedoch inzwischen 
            so erfolgreich, dass die "100 % Collègues" ihrerseits 
            bereits drei Alben veröffentlichten. 
          Unterdessen 
            hat Bernardo Sandoval sein neues Album "Hoy" veröffentlicht, 
            die erste CD seit mehr als drei Jahren, die auch in Deutschland herausgebracht 
            wurde. Seinem Stil bleibt Sandoval auch auf diesem Album treu. Doch 
            wiederum gelingt es ihm, erneut ein Stück perfekter zu werden, 
            experimenteller, mutiger - und "Hoy" besticht durch die 
            klaren Flamenco-Rhythmen ebenso wie die jazzigen Elemente, die Arrangements 
            von Gitarren, Percussions und Gesang, mit denen Sandoval auch diesmal 
            den Spannungsbogen beschreibt, die seinen Alben seit Jahren die aufgeladene 
            Atmosphäre, die Dichte der Emotionen, Leidenschaft und Temperament 
            verleihen. 
          Es 
            wird Zeit, diesen Künstler zu entdecken.
          Michael 
            Frost, 01. April 2002