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Stupende
Phrasierungskunst


"Es gibt doch Tage, an denen man sich ein bisschen Schnee wünscht, damit nicht alle Leute draußen sitzen." Das war am Abend des ersten wirklich warmen Tages im Jahr ein lauter Stoßseufzer der deutsch-finnischen Sängerin Kristiina Tuomi, denn sie spielte nicht nur auf den lyrischen Schnee im Song "Die Richtung des Taus" an, sie beklagte die Situation beim Konzert von "So Weiss" in Bremerhavens bester Jazz-Adresse, dem Club "Caspar David".

Da die meisten Gäste draußen saßen, stellte eine der aufregensten neueren Trio-Formationen der zeitgenössischen deutschen Jazz-Szene das Debüt-Album "Hunter/Dancer" vor fast leeren Tischen vor. "So Weiss" - der helle Name ist einem düsteren Shakespeare-Zitat entlehnt - spielen in ungewöhnlicher Zusammensetzung: Die 28-jährige Saxophonistin Susanne Folk, gebürtige Braunschweigerin, heute Berlinerin, setzt als Gründerin und alleinige Komponistin des Dreiergespanns auf den Zusammenklang von Saxophon (im Wechsel mit Klarinette), Stimme und Kontrabass.

Das minimalistische Klangbild ist Grundlage einer Musik, die streng durchkomponierte Harmonie-Passagen mit improvisierten Soli zwanglos verbindet, eine Musik, die im Charakter tief melancholisch ist, die aber niemals gekünstelt wirkt, sondern eingängige, geradezu suggestiv zarte Liedformen verwendet. Kristiina Tuomi (28) ist eine meisterhafte Vokalistin: ihre charakterstarke, warme, eher dunkel getönte Stimme kann sich in langen Kantilenen zu höchsten Höhen aufschwingen, ohne jedes Kratzen, ohne jede Anstrengung.

Ihre stupende Phrasierungskunst gilt ganz der emotionalen Intensität, mit der sie die schönen Lieder vorträgt. Susanne Folk findet für die Gedichte des früh gestorbenen englischen Poeten John Keats Melodien, die seine romantische Sehnsucht nach Schönheit unmittelbar erfassen, ohne dabei in musikalische Kitschzonen abzugleiten.

Die deutschsprachigen Texte der jungen Berliner Lyrikerin Monika Rinck fügen sich erstaunlich gut in dieses poetisch-musikalische Programm ein. "Kommt licht. kommt wind. Kommt glitzern" wird musikalisch in ein nervöses Glitzern übersetzt, dem Bassmann Roland Fidezius, - in klassischer und moderner Musik ebenso zu Hause wie im Jazz -, souverän rhythmische und harmonische Strukturen einzieht.

Das lyrische Glitzern des englischen Romantikers und der neuromantischen Deutschen, ergänzt um Texte von Susanne Folk und Kristiina Tuomi, erschöpft sich nicht im schönen Stimmungsschein, zu viele Widerhaken sind in Sprache und Musik eingebaut. Die Dunkelheit, die Gefahr, der "Sturz" (Monika Rinck) sitzen unter der schönen Oberfläche, Jäger und Tänzer sind zwei Seiten einer Medaille (in Susanne Folks "Hunter/Dancer"), und in der "Subway" (auch ein Song von Susanne Folk) spürt man den Sog der Fahrt im Untergrund.

Es ist das Suchen nach einer einfachen musikalischen Sprache, die etwas treibend Geheimnisvolles in sich trägt, die Elemente von Klezmer, irischer Folklore, altenglischen Kunstliedern oder Amos Tori-Songs in sich auf nimmt, ohne je zum oberflächlichen Zitat zu verkümmern. "So Weiss" belegt eindringlich, dass in der deutschen Jazz-Landschaft inzwischen einige Frauen dabei sind, sich in die erste Liga der weltweiten Jazz-Musik hineinzuspielen.

Die schwierige Liebesbeziehung zwischen Jazz und Lyrik wird seit einigen Jahren schon vom Julia Hülsmann Trio auf höchstem Niveau gepflegt. Beide Musikerinnen haben in New York entscheidende Impulse erhalten. Die Saxophonistin Susanne Folk hat dort u. a. bei Steve Coleman und Ravi Coltrane gelernt hat.

Ihre knappen, intensiven Soli und die faszinierende Stimme von Kristiina Tuomi verschmelzen zu einer musikalischen Einheit, die von sich reden machen wird. "SoWeiss" klingen live genauso einfühlsam und spannungsgeladen wie auf ihrem Debüt-Album, vom Live-Mitschnitt aus dem Sendesaal von Radio Bremen - am 4. Mai - darf einiges erwartet werden.

© Hans Happel, 28.05.2006

 

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