Lars Danielsson &
Johannes Enders

Neue Alben zweier Grenzgänger

von Hans Happel


 

"Enders Room" ist ein einsamer Raum. Es ist der Raum eines Sound-Tüftlers, eines "Aufnahmetechnik-Freaks", wie die Produktionsnotizen verkünden. Der Saxophonist Johannes Enders nennt sein neues Album HUMAN RADIO. Ein Jahr lang hat er an den neun Stücken im Heimstudio seines Bauernhofes in Weilheim gebastelt und das von ihm selbst und von Freunden eingespielte Material bearbeitet.

Warum dieser irritierende Titel HUMAN RADIO? "Der Mensch ist ein Empfänger", wird der 37-jährige Musiker zitiert, "und jeder von uns hat seine eigene Art, diese Einflüsse von außen zu verarbeiten." Enders Musik wirkt trotz ihrer diversen elektronischen Effekte extrem introvertiert, man glaubt die Einsamkeit des Programmierers, des Komponisten, des Arrangeurs und Instrumentalisten heraus zu hören.

Johannes Enders entwirft Klangfelder, deren atmosphärische Dichte offenbar gerade dadurch entsteht, dass er die Tür nach außen geschlossen hat. Kleine, ständig wiederholte Figuren von äußerst ohrwürmigem Charakter erzeugen ein leichtes Schwindelgefühl und lassen in eine Trance geraten, gegen die man sich wehren möchte. Das beginnt schon im ersten Stück EUPHRAT, in dem die Klanglandschaft des Flusses, der durch den Irak führt, im Andeuten orientalischer Melodik angezeigt wird. Eine ganz andere Klanglandschaft wird mit der Stimme Rebekka Bakkens wachgerufen: Sie singt das von ihr selbst getextete und mit Enders gemeinsam komponierte SO RO, ein Wiegenlied in norwegischer Sprache.

Selten klang ihre charakteristische und charakterstarke Stimme so geerdet wie hier, und dafür, dass Johannes Enders sie in seinen Sound-Raum hineingelassen hat, muß man ihm dankbar sein. Denn Rebekka Bakken gelingt es, diese Musik zum Atmen zu bringen. Es sind ihre weit geschwungenen, von einer herben Melancholie geprägten Melodiebögen und es ist ihre unverkennbare Stimme, die zwanglos zwischen dunkel und hell changiert und etwas Kühles, Frisches und ausgesprochen Menschliches in Enders Radio-Raum einlässt.

Das gilt auch für den zweiten Sänger-Gast Joo Kraus, der in "Self Observatoy" als geheimnisvoll leiser Rapper auftritt und zarte Zwischenspiele auf der Trompete abliefert. Der Klangbastler Enders liebt die gestrenge Rhythmus-Maschine, die gleichförmigen Beats eines Drum`n Bass-Werks, und seine Schlagzeuger (Wolfgang Haffner, Andy Haberl) liefern ihm, was er sucht: Das strenge Korsett der exakten Schläge, die so synthetisch wirken wie die elektronischen Klangspiele.

Selbst dort, wo die Musik ganz entspannt im Bossa-Nova-Rhythmus fliesst, haftet ihr stets etwas untergründig Steriles an und immer bleibt das heimliche Gefühl, auch der vielfache Solist - Johannes Enders spielt Saxophon, Bassklarinette, Fender-Rhodes-Piano, Synthesizer - könne oder wolle sich nicht richtig entfalten. "Enders Room" ist ein geschlossener Raum, in dem die Klangbilder so dicht sind, dass man sich wünscht, jemand würde die Tür öffnen, und Enders würde den lässigen Groove, der hörbar in ihm steckt, dadurch zum Atmen bringen, dass er mit den Freunden, mit Rebekka Bakken, Joo Kraus und den anderen Musikern dieses Projekts, auf Reisen geht, um den Wärmestrom seiner Musik ins Freie zu entlassen.

 

Der Mensch als Empfänger
- Johannes Enders
 

Die Tür nach außen bleibt geschlossen
- Johannes Enders

 

ENDERS ROOM

Aktuelles Album:
HUMAN RADIO
Enja / Soulfood
(VÖ 27.09.2004)

www.enders-room.de

 

 

 



Lyrischer Klangmaler
- Lars Danielsson
 
Empfehlung als Filmkomponist
- Lars Danielsson
 
Lars Danielsson

Aktuelles Album:
LIBERA ME
ACT SACD 9800-2
(VÖ 27.09.2004)
www.actmusic.com

 


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Ein Grenzgänger und ebenso auf Perfektion bedacht wie Enders ist auch Lars Danielsson. Der 46-jährige schwedische Bassist und Komponist hat mit LIBERA ME ein Album vorgelegt, indem er Jazz, Klassik und populäre Musik verbindet. Er arbeitet wie Enders mit einer Handvoll Freunden zusammen und hat außerdem das Dänische Radio Concert Orchestra an seiner Seite.

In den meisten der 12 Stücke dominiert der große Streichorchester-Sound. Als Komponist ist Danielsson ein lyrischer Klangmaler, der seinen berückend singenden Bass (oder auch das Cello) in süffige Streicher-Sätze taucht, die an amerikanische Filmmusik erinnern, das heißt ans romantische 19. Jahrhundert. Das klingt immer harmoniesüchtig schön, aber es klingt auch zu schön, es überschreitet die Grenzen zur Gefälligkeit. Zu seinen musikalischen Partnern gehört der legendäre norwegische Drummer Jon Christensen, der das Schlagzeug geradezu streichelt, dessen extrem reduziertes, feinnerviges Spiel vor allem in den beiden Duo-Aufnahen des Albums großartig zur Geltung kommt: "The Teacher", eine Hommage an Danielssons Bass-Lehrer, und "Both Sides Now", einer der unvergänglichen Folksongs von Joni Mitchell, entwickeln gerade wegen ihrer Transparenz eine Intensität, die in den üppigen Klangteppichen der Orchesterwerke ans Ornamentale verloren zu gehen droht.

Zu den herausragenden Aufnahmen des Albums gehört auch das titelgebende Instrumental-Arrangement von LIBERA ME (Erlöse mich), dem sechsten Satz aus dem Requiem des französischen Komponisten Gabriel Faure (1845 - 1924). Hier übernimmt David Liebman am Sopran-Saxophon mit seinem samtweichem Ton das vom Bass eingeführte langsame Thema, und zwischen den Orchesterklängen darf der Coltrane-Verehrer abschließend leicht parlierend improvisieren. Man kann Danielssons Orchester-Arrangements ihren verführerischen Schmelz keineswegs absprechen, der Komponist empfiehlt sich - wie gesagt - als künftiger Filmkomponist, er illustriert eingängig Orte und Landschaften (GRANADA), und er zitiert mit schwebenden Cluster-Klängen Vorbilder wie Arvo Pärt (SHIMMERING).

Im letzten als Bonus-Track ausgewiesenen Stück (ASNAH) verlässt er den spätromantischen symphonischen Klang und gibt Jon Christensen die Chance, das zarte, schön geschwungene Bass-Thema mit ungewöhnlich treibenden Rhythmen zu unterlegen. Lars Daniellson spielt Cello, Nils Petter Molvaer, norwegischer Grenzgänger zwischen Jazz und Dance-Pop, mischt sich mit einem elegischen Trompeten-Solo ein, Jan Bang liefert Samples, das Danish Radio Concert Orchestra ist im Hintergrund dabei, und als alle nach sieben Minuten richtig in Fahrt sind, wird sie leider schon wieder beendet.

Vielleicht ist das Album LIBERA ME noch ein unsicheres Abtasten von Möglichkeiten, schön anzuhören ist es auf jeden Fall, wie Lars Danielsson seine runden, weichen Basstöne stets von neuem in einen sanften Streicherfluss taucht, der glücklicherweise nicht tief genug ist, um darin zu ertrinken.

© Hans Happel, 25. September 2004



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