Erik Hillestad während des Republikaner-Parteitags in New York

Musik, die George W. Bush
nicht schlafen lässt:

Wiegenlieder von der
"Achse des Bösen"

Erik Hillestad unterwandert
Amerikas Kriegspropaganda

von Michael Frost


Der Mechanismus ist immer der gleiche. Jede Kriegsplanung steht vor dem Problem, die eigene Bevölkerung von der Notwendigkeit des Angriffs überzeugen zu müssen. Das ist alles andere als einfach, und nicht umsonst sagt man, das erste Opfer eines Krieges sei immer die Wahrheit.

Weil die wahren Motive in der Regel entweder zu komplex oder zu fadenscheinig sind, bedienen sich die Kriegstreiber zunächst des Mittels der Herabwürdigung ihres Gegners. Sie teilen die Welt in Gut und Schlecht und schaffen sich damit die moralische Legitimation für Krieg, Mord und Folter. US-Präsident George W. Bush ist ein Meister dieser Technik: Am 29.01. 2002 prägte er in einer Rede den Begriff von der "Achse des Bösen", zu welcher er namentlich Iran, Irak und Nordkorea zählte - "und ihre Verbündeten".

Heute weiß man, dass der Irak-Krieg mit dieser Rede begann. Die Benennung des "Bösen" lieferte den Amerikanern die nötige Begründung für den Angriff. Das Böse muss beseitigt werden - wer könnte diesem Ansinnen ernsthaft widersprechen wollen?

Wer sich dieser plumpen Manipulation widersetzt, leistet wirkliche Friedensarbeit. Geradezu subversiv erscheint es also, wenn dieser Tage eine CD veröffentlicht wird, die den provokanten Titel "Lullabies from the axis of Evil" - Wiegenlieder von der Achse des Bösen - trägt. Doch genau die Offenlegung der schlichten Propaganda war auch das Ziel des norwegischen Musikproduzenten Erik Hillestad, als er sich aufmachte, die "Achse des Bösen" zu erkunden.

Nicht auf die Suche nach Bomben oder Terroristen begab er sich, sondern nach Sängerinnen. Und er wurde fündig: in Syrien, in Palästina, im Irak, in Afghanistan und im Iran, in Kuba und Nordkorea. Überall traf er, zum Teil unter abenteuerlichen Umständen, auf Frauen, die ihm bereitwillig Wiegenlieder in ihrer Sprache vorsangen. Hillestad nahm die überwiegend a cappella vorgetragenen Lieder auf und kehrte schließlich nach Norwegen zurück, wo er die Bänder gemeinsam mit dem Arrangeur und Komponisten Knut Reiersrud bearbeitete. Reiersrud unterlegte die Stimmen der Frauen mit zurückhaltenden Arrangements, die den Charakter der Melodien und des Gesangs unterstreichen sollten.

Warum ausgerechnet Wiegenlieder? Für Hillestad symbolisieren sie den Beginn aller Kommunikation und der Beziehung zwischen Menschen: "Zwischen Mutter und Kind, Vater und Kind". Sie seien Teil einer universellen Kultur, und sie zeigten über alle Grenzen und Differenzen hinweg starke Verbindungen. "Sowohl musikalisch als auch inhaltlich gibt es ästhetische Gemeinsamkeiten", so Hillestad. "Die Themen sind oft die gleichen, ebenso wie die musikalische Struktur. Unterschiede in Tonart, Sprache, Metaphorik und Religion können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es eine Verbindung zwischen den Kulturen der Erde gibt."

Produzent Erik Hillestad mit Sevara Nazarkhan (Usbekistan)
 

Gitarrist und Arrangeur: Knut Reiersrud

 

Ohne Angst vor der schwarzen Liste: Ricky Lee Jones (USA)

 

Im Duett mit Rim Banna (Palästina): Kari Bremnes (Norwegen, Foto)
 
Lila Downs (Mexiko, Foto) trifft Kulsoom Syed Ghulam (Afghanistan)
 

Die Gottmutter des Punk im Latinbeat: Nina Hagen (Foto) trifft auf Martha Lorenzo (Kuba)

 



Die eigentliche Leistung dieses bemerkenswerten Projekts liegt somit in der vollständigen Umkehrung der Kriegspropaganda. Die verbindenden Elemente werden nochmals herausgearbeitet, indem Hillestad und Reiersrud ihren Stars von der "Achse des Bösen" jeweils Interpretinnen aus dem Westen zur Seite stellen. So erscheinen die Wiegenlieder in Duettform, teils zweisprachig gesungen, als gemeinsame Wiegenlieder zweier Frauen aus verschiedenen "Achsen". Die Einteilung der Welt in Gut und Böse funktioniert dadurch nicht länger. Sie wird als das entlarvt, was sie ist: bloße Propaganda zur Legitimation von Krieg und Gewalt, letztlich zur Aufhebung der Werte für die man vorgibt den Krieg zu führen..

Viele westliche Sängerinnen haben die Sprengkraft von Hillestads Idee erkannt und ihre Teilnahme aus Angst vor Repressionen abgelehnt. Sie befürchteten dabei weniger Verfolgung durch islamistische Fundamentalisten oder despotische Herrscher, sondern vielmehr Nachteile im eigenen Land. Damit beweisen sie, dass es der "schwarzen Listen" unliebsamer Künstler, deren Musik aus den Radioprogrammen verbannt wird, nicht wirklich bedarf: die Zensur beginnt im eigenen Kopf.

Andere haben sich freilich nicht abschrecken lassen. Ricky Lee Jones etwa. Sie stellte sich für ein irakisches Wiegenlied mit Halla Bassam zur Verfügung. Elana Fremerman, die zweite Amerikanerin auf der CD, unterstützt gemeinsam mit dem Mädchenchor der Washington National Cathedral die Iranerin Pari Zanganeh, und in einem weiteren Titel die afghanischen Sängerinnen Fanzya und Razya Khan Ali. Außerdem zu hören: die norwegische Sängerin Kari Bremnes, die Mexikanerin Lila Downs, Annisette aus Dänemark und die Schottin Eddi Reader.

Aus deutscher Sicht dürfte Nina Hagen der prominenteste Name des Projekts sein. Sie singt mit der Kubanerin Martha Lorenzo "Aruru", eins der bekanntesten kubanischen Schlaflieder. Der Text ihres Liedes könnte tatsächlich von überall her stammen: "Schlaf gut, süßes Baby // sicher in deinem Bett // der Stern wird dir ein Kissen sein // auf das du deinen Kopf zur Ruhe legen kannst".

Selten war unpolitische Poesie so politisch wie auf diesem Album, und zu einem besseren Zeitpunkt hätte es gar nicht kommen können. Es ist die Platte zur Präsidentschaftswahl in den USA, und schon aus diesem Grund eine der wichtigsten Veröffentlichungen des Jahres.

© Michael Frost, 02. November 2004

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TRACKLIST "LULLABIES FROM THE AXIS OF EVIL"
(Kirkelig Kulturversted, Strange Way Records, Indigo LC 07147)

01. Sad Sol (Mahsa Vahdat, Iran / Sarah Jane Morris, England)
02. Dilelol (Amel Kthyer/Halla Bassam, Irak / Eva Dahlgren, Schweden)
03. Lalolalo (Kulsoom Syed Ghulam, Afghanistan / Lila Downs, Mexiko)

04. Ya lel maatwalak (Rim Banna, Palästina / Kari Bremnes, Norwegen)
05. Luna, luna (Mayada Killisly Baghdadi, Syrien / Mimi (USA)
06. Peace Song (Halla Bassam, Irak / Sevara Nazarkhan, Usbekistan)
07. Aruru (Martha Lorenzo, Kuba / Nina Hagen, Deutschland)
08. Stars are rising (Sun Ju Lee, Nordkorea / Eddi Reader, Schottland)
09. Nami (Viva Killisly Chachati, Syrien / Katia Cardenal, Nicaragua)
10. Lalalala gohle laleh (Mahsa & Marjan Vahdat, Irak)
11. Garibe (Halla Bassam, Irak / Rickie Lee Jones, USA)
12. Nami ya la 'aubi (Rim Banna, Palästina / Annisette, Dänemark)
13. Gohlelale (Pari Zanganeh, Iran / The Washington National Cathedral Girls Choristers, USA / Elana Fremerman, USA)
14. Nami (Jawaher Shofani, Palästina)
15. Mazar (Fanzya & Razya Khan Ali, Afghanistan / Elana Fremerman, USA)

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