Madredeus

CD-KRITIK.DE UPDATE:
Was macht die Band, die durch Wim Wenders'
"Lisbon Story" weltberühmt wurde?

Es war 1995, als die portugiesische Gruppe Madredeus durch den Wim Wenders-Film "Lisbon Story" weit über Portugal hinaus bekannt wurde. "Ainda", so der Titel des Film-Soundtracks, machte die Gruppe mit ihrer speziellen Musik aus Fado, Folklore, Klassik und Ambient berühmt.


Heute gibt es weltweit kaum noch eine namhafte Bühne, auf der die Gruppe um ihre Gründer Pedro Ayres Magalahaes und Carlos Maria Trindade und ihre Sängerin Teresa Salgueiro nicht gastierte.

Gleichzeitig begründete das Ensemble einen Trend, in dessen Folge der Fado in seiner Heimat und international eine ungeahnte Renaissance erfuhr. Sängerinnen wie Mísia und Mariza konnten das Interesse der Musikwelt für die melancholische Musik aus den Lissabonner Hafenvierteln sogar noch ausbauen und sind heute mindestens ebenso erfolgreich wie Madredeus.

Um Madredeus selbst ist es allerdings ruhiger geworden. Das letzte Album der Gruppe ("Faluas do Tejo") stammt aus 2005, und im Dezember des Folgejahres, nach dem umjubelten Abschluss einer Welttournee in Tokio, kündigten Magalahaes und Trindade ein "Sabbatjahr" an, das schließlich sogar ein weiteres Jahr dauern sollte.

Teresa Salgueiro testete zur gleichen Zeit die Möglichkeiten einer Solokarriere und veröffentlichte auf "Obrigado" (2006) zunächst eine Sammlung ihrer vielen Seitenprojekte mit anderen Musikern aus der Madredeus-Zeit, darunter Angelo Branduardi, Antonio Chaino, Maria João und Caetano Veloso.

Ein anderes Gründungsmitglied hatte Madredeus schon deutlich früher verlassen: Rodrigo Leão. Der Komponist und Multiinstrumentalist kümmerte sich seit 1997 um eigene Projekte. Am besten beschreibt man seine Musik als Soundtrack für imaginäre Filme - in einer unvergleichlichen Mischung aus instrumentaler Klassik, Elektronik, Jazz, Folk und Ambient. Für seine Projekte gewann er immer wieder illustre Gastsänger, etwa die Französin Helena Noguerra, Rosa Passos aus Brasilien und sogar Triphop-Sirene Beth Gibbons (Portishead).

Seinen Weg setzt er auch auf seinem aktuellen Album "A Mãe" fort - in Begleitung sogar zweier Gruppen: sein angestammtes "Cinema Ensemble" und der "Sinfonieta Lisboa", dem Orchester, mit dem Mariza 2006 ihren bereits jetzt legendären Auftritt in Lissabon (unter der Gesamtleitung von Jacques Morelenbaum) bestritt. Gäste auf "A Mãe" sind übrigens der argentinische Tango-Interpret Daniel Melingo, Stuart A. Staples (Tindersticks) und Neil Hannon (The Divine Comedy).

 

Multiinstrumentalist: Rodrigo Leao
Rodrigo Leão
A Mãe
(2009)
Sony Music Portugal
next www.rodrigoleao.pt


2009 markiert nun einen neuen Abschnitt in der Schaffensperiode nicht nur von Rodrigo Leão, sondern auch von Teresa Salgueiro und Madredeus - allerdings getrennt voneinander. Tatsächlich ist "A nova aurora" schon die zweite CD nach dem überraschenden Comeback der Madredeus-Stammformation um Magalahaes und Trindade seit vergangenem Jahr.

Im Herbst 2008 wurde das Doppelalbum "Metafonia" veröffentlicht und später um eine DVD mit einer Live-Einspielung aus Lissabon ergänzt. Begleitet wird die Rumpfmannschaft von "A Banda Cosmica", einer Gruppe von Musikern aus Portugal, Brasilien und Angola, deren Ziel es ist, einen gemeinsamen, historische und geografische Grenzen aufhebenden Sound zu schaffen.

Madredeus &
A Banda Cósmica
Metafónia
(2008)
Farol Musica Ltd.
A nova aurora
(2009)
Farol Musica Ltd.
next www.madredeus.com


Für Madredeus, deren Sound sich über die Jahren von der beschwingten Alentejo-Folklore zum klassischen Lied wandelte, markiert "Metafonia" eine durchaus überraschende Wendung: Elektronischer Ambientsound, Melodien, die nicht selten über zehnminütige Dauer zu leinwandgroßen Klangteppichen verwoben werden, selbst E-Gitarren werden eingesetzt, und die weiblichen Gesangsstimmen (Mariana Abrunheiro, Rita Damásio, Ana Isabel Dias) haben tatsächlich genügend eigenständiges Potential, um über das Fehlen der unvergleichlichen Teresa Salgueiro hinweg zu trösten.

Tereza Salgueiro &
Lusitânia Ensemble
La Serena
(2007)
Farol Musica Ltd.
Matriz
(2009)
Farol Musica Ltd.
next www.terezasalgueiro.pt


Doch verzichten muss man auf sie nicht. Nach einem Ausflug zu den Großmeistern der Bossanova nach Brasilien ("Voz e eu") ist Tereza Salgueiro längst nach Portugal zurückgekehrt. Und nicht nur das: Sie hat sich regelrecht in die Kulturhistorie ihrer Heimat vergraben. Gemeinsam mit dem "Lusitânia Ensemble" (Geige, Cello, Bass, Gitarre, Akkordeon und Percussions) veröffentlichte sie jüngst "Matriz", eine Sammlung von zwanzig Liedern aus mehreren Jahrhunderten, teils traditionelle Volkslieder, teils höfische Gesänge und Tänze aus dem Mittelalter und der Renaissance, aber auch Fado ("Com que voz" aus dem Repertoire der großen Amália Rodrigues).

Insgesamt geht "Matriz" nochmals weiter als das vorige, ebenfalls mit dem Lusitânia Ensemble aufgenommene "La serena" mit Adaptionen von Leo Ferré, Edith Piaf, Cesaria Evora und Astor Piazzolla.

So haben sich die Musiker von Madredeus, gemeinsam oder separat, erkennbar und erstaunlich weiter entwickelt - und dabei ihre Potentiale in unterschiedlichen Konstellationen vervielfacht. Unabhängig davon, ob Teresa Salgueiro und Magalahaes/Trindade - vielleicht sogar Leão - eines Tages wieder zusammen finden (eine offizielle Trennung fand nie statt): Jedes ihrer Projekte hat seinen eigenen Reiz, ist musikalische Delikatesse und sinnlicher Hochgenuss.

© Michael Frost, August 2009

 


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