ADDIO MAESTRO
Über die Vermarktung des Todes von Luciano Pavarotti

Ein Zwischenruf von Michael Frost



LUCIANO PAVAROTTI 1935-2007


Am 6. September starb Luciano Pavarotti, der Welt größter Tenor. Sein Leben und Wirken waren derart bedeutend, dass seiner Beerdigung selbst die Spitzen des italienischen Staates, Präsident Napolitano und Premier Prodi, beiwohnten. Wenn auch nur die Hälfte der Berichte stimmt, die seit seinem Tod aus Italien kommen, dann lässt sich immer noch sagen, dass in dem Land eine Art kollektiver Trauer herrscht.

Denn Pavarotti war weit mehr als nur ein Opernsänger, er war sogar mehr als nur der beste seiner Zunft: er war ein Symbol. "Pavarotti singt nicht Oper, er ist die Oper", sagte ein Kollege über ihn. Und damit nicht genug. Pavarotti war auch Italien.



"Alles, was ihr hier seht, verdanke ich der italienischen Pasta", soll Sophia Loren einst amerikanischen Journalisten anvertraut haben. Auch Pavarotti könnte das gesagt haben, vielleicht ergänzt um den Zusatz: "Alles was ihr hört, auch."
Denn wie in keinem anderen Musiker schien sich in ihm vor allem eines zu spiegeln: Liebe. Die Liebe zur Musik, die Liebe zum Genuss, zum Essen, zum Wein, zur Schönheit, zu Frauen. Darin war er italienischer als jedes Klischee.

Und die wortwörtliche Verkörperung dieser Leidenschaft erreichte selbst Menschen, die mit klassischer Musik sonst wenig am Hut haben. Seit 1990, als er erstmals mit seinen Kollegen Placido Domingo und José Carreras in Rom auftrat und "die drei Tenöre" als Markenzeichen etablierte, fungierte er gleichsam als Brücke zwischen der so genannten "U" und der "E"-Musik, was ihm, gerade von Seiten der Gralshüter der Klassik, viel Kritik einbrachte.

Der Publikumserfolg wurde ihm häufig als kommerzieller Ausverkauf der Oper angelastet. Er bediene sich der Oper wie eines Steinbruchs, hieß es, breche hier und dort eine Arie heraus, fast nach Belieben, um sie dann als Gassenhauer zu missbrauchen. Ganz als ob die Oper das alleinige Gut einiger weniger so genannter "Kenner" wäre. Doch auch sie kamen an Pavarotti letztlich nie vorbei: schließlich war er der Beste.

Und so ist es gerade dieser Brückenschlag zwischen Hoch- und Popkultur, der die Oper vor der Isolation bewahrte und ihr zahllose neue und neugierige Besucher in die Aufführungen spülte.

Die Menschen halten inne

Am vergangenen Samstag, anlässlich Pavarottis Beerdigung in Modena, spielte ein deutscher Radiosender, sonst eher für Krawallreklame und sinnfreie Jingles berüchtigt, unverhofft sein vielleicht berühmtestes Lied, Puccinis "Nessun dorma".
Der Sender lief auch in einem dieser trostlosen Supermärkte, wie es sie an jedem Stadtrand gibt. Und unter den Kunden geschah Merkwürdiges: Alle schienen ein bisschen langsamer zu gehen, Gespräche brachen ab oder wurden leiser. Die Menschen hielten inne, wenigstens für den Augenblick dieser einen Arie. Wer, abgesehen von Pavarotti, schafft es wohl, einen Supermarktkunden zwischen Filtertüten und Spülschwämmen zu Tränen zu rühren?

"Meine Mutter stellte den Staubsauger ab, denn im Radio sang Edith Piaf", heißt es in einem Stück des Liedermachers Herman van Veen. Mit Pavarotti verhält es sich ähnlich. Wenn er singt, saugt man nicht Staub, man mäht keinen Rasen, man klappert nicht mit den Gläsern beim Abwasch. Man tut gar nichts, was stören könnte.

Mit Kommerz hat das nichts mehr zu tun, mit Berührung umso mehr. So betrachtet, ist Pavarotti ein demokratischer Reformer der Oper: er gab dem Volk seine Lieder zurück. Tausendfach wurden Puccini- und Verdi-Arien bei seinen Konzerten mitgesungen, und wenn man seine Auftritte erlebte, dann schien es, dass dies seine glücklichsten Momente auf der Bühne waren: wenn die Massen selbst ihn, den Maestro, zu übertönen drohten.

Dass aus der Popularisierung der Opernarie inzwischen eine Mode wurde, in deren Folge auch minder begabte Ariensänger und -sängerinnen zu Weltstars wurden - dafür ist nicht Pavarotti verantwortlich. Das geht allein auf das Konto der darbenden Musikindustrie, die manchmal eher auf das Aussehen der Nachwuchssänger als auf ihre Gesangstechnik zu achten scheint.

Der Ausverkauf beginnt: "Pavarotti forever"

Im Gegensatz zu den Menschen, die Pavarotti und seine Musik liebten, liegt der Musikindustrie allerdings auch das Innehalten fern. Anders ist jedenfalls nicht zu erklären, dass bereits vier Tage nach Pavarottis Tod, eine "definitive Sammlung seiner größten Erfolge" (Pressetext), zusammengepackt auf einer Doppel-CD und einer DVD, beide mit dem einfältigen Titel "Pavarotti forever" versehen, im Handel erhältlich war.

Selbst wenn man mit den Gesetzen des Marktes einigermaßen vertraut ist und weiß, dass so mancher Nachruf bereits sendefertig in den Studios liegt, obwohl der Geehrte sich womöglich noch bester Gesundheit erfreut, gruselt es einen dann doch, wenn man annehmen muss, dass die Vorbereitungen für die posthume Veröffentlichung wohl kaum erst während der vergangenen vier Tage angelaufen sein können.

Und tatsächlich: "Insider hatten es bereits geahnt", schreibt seine Plattenfirma offenherzig in ihrem als "Nachruf" getarnten Promotiontext für "Pavarotti forever". Wie lange liegt die "definitive Sammlung" wohl schon zur Auslieferung bereit? Und wann wird es der Plattenindustrie endlich gelingen, den Soundtrack zur Beerdigung bereits am Tage der Beisetzung zu verkaufen, oder wenigstens als Download oder Klingelton?

Ganz sicher jedoch wird "Pavarotti forever" ein Erfolg, gekauft von trauernden Menschen, die dem Maestro auf diese Weise ihre Ehre erweisen und sich ein Andenken bewahren möchten. Dagegen ist natürlich auch nichts einzuwenden - im Gegenteil. Man wünschte nur, die Welt würde sich, dem Verlust angemessen, wenigstens für einen Moment etwas langsamer drehen. Oder bloß, dass jemand den Staubsauger abstellt.

Addio Maestro.

© Michael Frost, 13.09.2007




 


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