"Alles, was ihr hier seht, verdanke ich der italienischen Pasta",
soll Sophia Loren einst amerikanischen Journalisten anvertraut haben.
Auch Pavarotti könnte das gesagt haben, vielleicht ergänzt
um den Zusatz: "Alles was ihr hört, auch."
Denn wie in keinem anderen Musiker schien sich in ihm vor allem eines
zu spiegeln: Liebe. Die Liebe zur Musik, die Liebe zum Genuss, zum Essen,
zum Wein, zur Schönheit, zu Frauen. Darin war er italienischer
als jedes Klischee.
Und
die wortwörtliche Verkörperung dieser Leidenschaft erreichte
selbst Menschen, die mit klassischer Musik sonst wenig am Hut haben.
Seit 1990, als er erstmals mit seinen Kollegen Placido Domingo und José
Carreras in Rom auftrat und "die drei Tenöre" als Markenzeichen
etablierte, fungierte er gleichsam als Brücke zwischen der so genannten
"U" und der "E"-Musik, was ihm, gerade von Seiten
der Gralshüter der Klassik, viel Kritik einbrachte.
Der
Publikumserfolg wurde ihm häufig als kommerzieller Ausverkauf der
Oper angelastet. Er bediene sich der Oper wie eines Steinbruchs, hieß
es, breche hier und dort eine Arie heraus, fast nach Belieben, um sie
dann als Gassenhauer zu missbrauchen. Ganz als ob die Oper das alleinige
Gut einiger weniger so genannter "Kenner" wäre. Doch
auch sie kamen an Pavarotti letztlich nie vorbei: schließlich
war er der Beste.
Und
so ist es gerade dieser Brückenschlag zwischen Hoch- und Popkultur,
der die Oper vor der Isolation bewahrte und ihr zahllose neue und neugierige
Besucher in die Aufführungen spülte.
Die
Menschen halten inne
Am
vergangenen Samstag, anlässlich Pavarottis Beerdigung in Modena,
spielte ein deutscher Radiosender, sonst eher für Krawallreklame
und sinnfreie Jingles berüchtigt, unverhofft sein vielleicht berühmtestes
Lied, Puccinis "Nessun dorma".
Der Sender lief auch in einem dieser trostlosen Supermärkte, wie
es sie an jedem Stadtrand gibt. Und unter den Kunden geschah Merkwürdiges:
Alle schienen ein bisschen langsamer zu gehen, Gespräche brachen
ab oder wurden leiser. Die Menschen hielten inne, wenigstens für
den Augenblick dieser einen Arie. Wer, abgesehen von Pavarotti, schafft
es wohl, einen Supermarktkunden zwischen Filtertüten und Spülschwämmen
zu Tränen zu rühren?
"Meine
Mutter stellte den Staubsauger ab, denn im Radio sang Edith Piaf",
heißt es in einem Stück des Liedermachers Herman van Veen.
Mit Pavarotti verhält es sich ähnlich. Wenn er singt, saugt
man nicht Staub, man mäht keinen Rasen, man klappert nicht mit
den Gläsern beim Abwasch. Man tut gar nichts, was stören könnte.
Mit
Kommerz hat das nichts mehr zu tun, mit Berührung umso mehr. So
betrachtet, ist Pavarotti ein demokratischer Reformer der Oper: er gab
dem Volk seine Lieder zurück. Tausendfach wurden Puccini- und Verdi-Arien
bei seinen Konzerten mitgesungen, und wenn man seine Auftritte erlebte,
dann schien es, dass dies seine glücklichsten Momente auf der Bühne
waren: wenn die Massen selbst ihn, den Maestro, zu übertönen
drohten.
Dass
aus der Popularisierung der Opernarie inzwischen eine Mode wurde, in
deren Folge auch minder begabte Ariensänger und -sängerinnen
zu Weltstars wurden - dafür ist nicht Pavarotti verantwortlich.
Das geht allein auf das Konto der darbenden Musikindustrie, die manchmal
eher auf das Aussehen der Nachwuchssänger als auf ihre Gesangstechnik
zu achten scheint.
Der
Ausverkauf beginnt: "Pavarotti forever"
Im
Gegensatz zu den Menschen, die Pavarotti und seine Musik liebten, liegt
der Musikindustrie allerdings auch das Innehalten fern. Anders ist jedenfalls
nicht zu erklären, dass bereits vier Tage nach Pavarottis Tod,
eine "definitive Sammlung seiner größten Erfolge"
(Pressetext), zusammengepackt auf einer Doppel-CD und einer DVD, beide
mit dem einfältigen Titel "Pavarotti forever" versehen,
im Handel erhältlich war.
Selbst
wenn man mit den Gesetzen des Marktes einigermaßen vertraut ist
und weiß, dass so mancher Nachruf bereits sendefertig in den Studios
liegt, obwohl der Geehrte sich womöglich noch bester Gesundheit
erfreut, gruselt es einen dann doch, wenn man annehmen muss, dass die
Vorbereitungen für die posthume Veröffentlichung wohl kaum
erst während der vergangenen vier Tage angelaufen sein können.
Und
tatsächlich: "Insider hatten es bereits geahnt", schreibt
seine Plattenfirma offenherzig in ihrem als "Nachruf" getarnten
Promotiontext für "Pavarotti forever". Wie lange liegt
die "definitive Sammlung" wohl schon zur Auslieferung bereit?
Und wann wird es der Plattenindustrie endlich gelingen, den Soundtrack
zur Beerdigung bereits am Tage der Beisetzung zu verkaufen, oder wenigstens
als Download oder Klingelton?
Ganz
sicher jedoch wird "Pavarotti forever" ein Erfolg, gekauft
von trauernden Menschen, die dem Maestro auf diese Weise ihre Ehre erweisen
und sich ein Andenken bewahren möchten. Dagegen ist natürlich
auch nichts einzuwenden - im Gegenteil. Man wünschte nur, die Welt
würde sich, dem Verlust angemessen, wenigstens für einen Moment
etwas langsamer drehen. Oder bloß, dass jemand den Staubsauger
abstellt.
Addio
Maestro.