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Aus einem Guss


Fred Avril ist das jüngste Talent der französischen Electronica-Szene. Jahrgang 1974, aufgewachsen in Bordeaux, experimentierte er offenbar schon früh mit neuer Musik. Industrial-Pioniere wie Depeche Mode zählen zu seinen frühen Vorbildern, doch mit John Lennon oder Jimi Hendrix konnte er genauso viel anfangen. Er spielt Klavier, Gitarre und Trompete, hat sich also neben der Elektronik eine starke akustische Komponente bewahrt, die auch seinem Album "That horse must be starving" anzuhören ist.

Sicherlich wird Avril zunächst einmal als Fortsetzung der Erfolgsstorys französischer Kollegen wie Air oder Daft Punk wahrgenommen. Vor allem aber ist er ein weiterer Beweis für die Kreativität der französischen Szene und ihre tabulose Beschäftigung mit unterschiedlichen Stilen und Genres, die er einigermaßen hemmungslos miteinander mischt.

Kein Wunder, wenn jeder in Avrils "That horse must be starving" etwas anderes entdeckt. Die Plattenfirma empfiehlt denn auch, Vergleiche erst gar nicht anzustellen: "Den 'Klingt wie'-Referenzialismus streift Avril ab wie eine überflüssige Haut ...".

Daran ist viel Wahres, denn die Zahl der erkennbaren Referenzen ist ebenso groß wie unterschiedlich, weshalb sie schließlich eher verwirren, anstatt orientierende Hilfestellungen zu leisten: Einige hören im flirrenden "French kiss" eine Anlehnung an Matmos und Opiate, sein Gesang dagegen streift gelegentlich das elegische Timbre eines Thom Yorke, groovende Funk-Anleihen wecken selige Erinnerungen an Prince in der seligen Vor-"TAFKAP"-Ära, während harte Technobeats die Gegenwart zelebrieren; mit einem Wort: Avrils Musik funktioniert letztlich als Schmelztiegel. Hier finden sich Rhythmen aus unterschiedlichen Epochen der Rockgeschichte und sind dennoch alles andere als "Retro" oder Kopien der genannten Verwandten.

Ohne Zweifel verfügt Avril auch in textlicher Hinsicht über die emphatische Fähigkeit, mit minimalen Mitteln spürbare Stimmungen zu erzeugen. Wortfetzen wabern durch die desperate Atmosphäre, Avrils Erzählungen sind voller beklemmender Metaphern wie "She says she watches the new world getting old inside a plane that's going to crash" ("Helium life boat").

Seine musikalische Vielseitigkeit wiederum erlaubt es ihm, die spannungsreiche Atmosphäre mit den jeweils nötigen instrumentalen Mitteln nochmals zu verstärken, so dass "That horse must be starving" schließlich einen ungemein starken und stimmigen Gesamteindruck hinterlässt: Dieses Album ist, obwohl es aus ganz verschiedenartigen Komponenten zusammengesetzt wurde, "aus einem Guss".

© Michael Frost, 28.09.2002

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