Städte 
          wie Nazareth oder Bethlehem haben für Christen eine mythische Bedeutung. 
          Nur schwer kann man sich vorstellen, dass sich dort heute ganz normales 
          Leben abspielt, so normal eben, wie es den Palästinensern möglich 
          ist: ein Leben zwischen Gewalt und Besatzung, zwischen Radikalismus 
          und Fortschritt, zwischen Armut und der Organisation der Selbstständigkeit. 
          Und 
            so sind es völlig "normale" Orte, die sich den internationalen 
            Pilgerströmen präsentieren; Orte, in denen die Menschen 
            um ihre Existenz ringen. Obgleich sie in dieser Situation besonders 
            nötig wären, bleibt für Kunst und Musik wenig Platz:"Wir 
            haben kein Netz von Plattenfirmen oder gute Studios. Ich bin darauf 
            angewiesen, meine CDs durchs Internet zu vertreiben oder auf Konzerten 
            zu verkaufen." - Rim Banna, Sängerin aus Nazareth, beschreibt 
            die Situation ihrer Zunft nüchtern. 
          Doch 
            in ihrem Fall dürfte sich die Lage jetzt ändern, bzw. schon 
            geändert haben. Denn 
            Rim Banna wurde im vergangenen Jahr von dem norwegischen Produzenten 
            Erik Hillestad um Teilnahme an seinem Projekt "Lullabies from 
            the axis of evil" gebeten. Für das ambitionierte Projekt 
            brachte Hillestadt Künstlerinnen aus Europa und Nordamerika mit 
            Sängerinnen aus den so genannten "Schurkenstaaten", 
            die dann, jeweils als Duett, Wiegenlieder aus Kuba, Nordkorea, Irak 
            - oder eben Palästina - aufnahmen.  
          Rim 
            Banna sang sich durch zwei wunderschöne Duette mit Kari Bremnes 
            und Annisette ins Gedächtnis. Auch bei Erik Hillestad blieb der 
            lupenreine Klang ihrer Stimme und ihrer außergewöhnlichen 
            Technik haften, mit der sie arabische Gesangstradition mit Pop, Jazz 
            und Soul in Einklang bringt. 
          Hillestad 
            lud Rim Banna also erneut nach Oslo ein. Dort entstand in liebevoller 
            Detailarbeit ein außergewöhnliches Album-Debüt: "The 
            mirrors of my soul" versammelt elf bezaubernde Kompositionen 
            von Rim Banna und Leonid Alexeienko, die von vier norwegischen Studiomusikern 
            begleitet werden, darunter auch E-Gitarrist Eivind Aarset, der schon 
            auf "Lullabies from the axis of evil" eine Schlüsselrolle 
            einnahm. 
           
            Dogmatismus und kulturelle Isolation vertragen sich mit dieser Musik 
            und ihrer Verknüpfung arabischer und westlicher Traditionen nicht, 
            Selbstbehauptung jedoch sehr wohl. "Wenn Palästinenser und 
            Israelis zusammmen auf die Bühne gehen", analysiert Rim 
            Banna, "lässt das vielleicht die Europäer ruhig schlafen, 
            aber dem Friedensprozess dient es nicht. Vielmehr müssen wir 
            jeder verstärkt zu unserem eigenen Volk sprechen und singen, 
            um in ihren Köpfen etwas zu verändern." 
          Die 
            Texte stammen von Zuhaira Sabbagh. Sie erzählt darin kleine Geschichten 
            aus dem Leben der Palästinenser, zartfühlend, mit Liebe 
            zum Land und seinen Menschen, weit abseits dessen, was wir aus Nachrichten 
            und Reportagen erfahren. Aus 
            dem Lied über die kleine "Sarah" etwa, die Opfer eines 
            Heckenschützen wurde, als sie gerade ihre ersten Schritte machte, 
            spricht vor allem eines: Trauer und Verzweiflung. Von der Überhöhung 
            der Opfer und ihres Missbrauchs als "Märtyrer" wendet 
            sich diese Musik kategorisch ab.
          "The 
            mirrors of my soul" ist folglich schon deshalb ein Beitrag zum 
            Frieden, weil Rim Banna dadurch den Raum für die Musik in ihrer 
            Heimat ein ordentliches Stück vergrößern konnte. 
          © 
            Michael Frost, 17.10.2005