Gerade 
            32 Jahre jung, verfügt Benjamin Biolay bereits über eine 
            umfangreichere Diskografie als so mancher Altstar. Zahllos sind vor 
            allem seine Kooperationen: Für seine Schwester Coralie Clément 
            schrieb er fast zwei komplette Alben, er arbeitete mit dem Schweizer 
            Rockpoeten Stephan Eicher und den Chanson-Legenden Henri Salvador, 
            Juliette Gréco, Valerie Lagrange und zuletzt auch Francoise 
            Hardy. 
          Mehr 
            nebenbei fand er noch die Zeit für eigene Alben: "Rose Kennedy", 
            das Doppel-Album "Négatif" und "Home", 
            gemeinsam eingespielt mit seiner Frau Chiara Mastroianni. So entstand 
            zeitweise der Eindruck, ohne Biolay ginge in der aktuelle Szene Frankreichs 
            gar nichts mehr. 
            Biolay ist ein unbestrittener Meister der Arrangements. Die Melodien 
            sind in der Regel schlicht und eingängig und offenbare ihre ganze 
            Größe erst durch den raffinierten dramaturgischen Aufbau. 
            Biolays Instrumentarium besteht überwiegend aus akustischer Gitarre, 
            unauffälligen Drums, verspielten Klavierläufen und einem 
            sich langsam aufbäumenden Orchester. 
          So 
            schafft er es auch simple Melodien in opulente Soundgebilde umzuformen, 
            und gemeinsam mit seinem weichen, oft nur dahingehauchten Sprechgesang 
            gelingt ihm der Aufbau einer dichten, sehr stimmigen und oft unentrinnbaren 
            Atmosphäre. 
          Inzwischen 
            hat er seine Musik zum Markenzeichen ausgebaut, und in der Tat ist 
            der Wiedererkennungswert seiner Kompositionen unglaublich hoch - und 
            damit allerdings auch ihre Berechenbarkeit. 
          "Benjamin, 
            étonne-nous" - Benjamin, überrasche uns -, forderte 
            deshalb vor einiger Zeit ein Fan in einem Internet-Forum von seinem 
            Idol. Der Angesprochene, der in besagtem Forum gelegentlich selbst 
            mitdiskutiert, schien in die Kritik geraten. Doch Benjamin blieb cool. 
            "Wartet ab", entgegnete er gelassen. Denn zu diesem Zeitpunkt 
            waren die Einspielungen zu seinem neuen Album "A l'origine" 
            bereits abgeschlossen, und darauf präsentiert sich Biolay einerseits 
            mit neuen Ideen, die seine bisherige Arbeit zwar nicht ablösen, 
            seinen Sound aber deutlich erweitern.
          Das 
            Instrumentarium auf "A l'origine" ist gitarrenlastiger, 
            elektronischer und rock-betonter. E-Gitarren, Samples und Drummachine 
            kontrastieren die Biolay-typischen Elemente aus Streichern, Bläsern 
            und Flüsterstimme. 
          Erstmals 
            vielleicht ist es Biolay deutlich gelungen, sich vom eigenen Klischee 
            zu emanzipieren. "A l'origine" ist durch den druckvollen 
            Sound der Mehrheit der insgesamt 14 Titel und die erweiterten Möglichkeiten 
            der Arrangements deutlich vielseitiger und abwechslungsreicher als 
            seine vorigen Alben. 
          Darüber 
            hinaus ist "A l'origine" voller bissiger und ironischer 
            Anspielungen, und in politischer Hinsicht darüber hinaus unerwartet 
            deutlich. "Ground Zero Bar" ist ein sarkastischer Kommentar 
            zum 11. September und zum amerikanischen Präsidenten. Das Thema 
            hatte Biolay schon vorab so stark beschäftigt, dass er eigens 
            zur Präsidentschaftswahl einen Song - vielmehr ein subtiles Pamphlet 
            gegen George W. Bush - via Internet verbreiten ließ: "Mr. 
            President". 
          Dagegen 
            darf der Titel des Songs "Ma chair est tendre" wohl als 
            Gruß an Chanson-Legende Henri Salvador und den fast wortgleichen 
            Titel seines aktuellen Albums "Ma chère et tendre" 
            verstanden werden. Für Salvador hatten Biolay (gemeinsam mit 
            seiner früheren Partnerin Keren Ann) einige Songs für Salvadors 
            Comeback-Album "Chambre avec vue" geschrieben, anschließend 
            kam es jedoch zum Zerwürfnis zwischen Alt- und Jungstar. 
          Und 
            der in verschiedene Songs eingebaute Knabenchor ist sicherlich als 
            augenzwinkernder Tribut an Bruno Coulais und seinen in Frankreich 
            geradezu beängstigend erfolgreichen Soundtrack zu "Les Choristes" 
            ("Die Kinder des Monsieur Matthieu") gemeint. Dass Biolay 
            Chor und begleitendes Orchester gleich zum Ende des Titelsongs "A 
            l'origine" akustisch niedermetzeln lässt, mag man durchaus 
            als augenzwinkernde Boshaftigkeit verstehen: Coulais' Soundtrack siegte 
            erst kürzlich gegen Biolays Filmmusik zu "Clara et moi" 
            bei der Vergabe der Victoires de la Musique, dem französischen 
            Grammy. 
          Auch 
            Ehefrau Chiara Mastroianni gibt sich erneut die Ehre ("Paris/Paris"), 
            und Francoise Hardy bedankt sich auf "A l'origine" mit einem 
            elegischen Duett ("Adieu triste amour") für Biolays 
            Unterstützung ihrer aktuellen CD "Tant de belles choses". 
            Es ist vielleicht das einzige klassische Chanson des Albums, das allerdings 
            gleich im Anschluss durch eine delikate Fusion kühler Elektronik 
            und der Choristes kontrastiert wird ("Tant le ciel était 
            sombre"). 
          "Benjamin, 
            étonne-nous" - der Appell ist angekommen, die Überraschung 
            ist gelungen. Benjamin Biolay bleibt der Shootingstar der "Nouvelle 
            Vague", der jungen französischen Szene, und mit "A 
            l'origine" baut er seinen Ruhm weiter aus. 
            
          © 
            Michael Frost, 20. März 2005